Die Kaiserlichen zu Schweinfurt im Jahre 1549

Diese Erzählung wurde im Jahre 1836 veröffentlicht. Verfasser ist Friedrich Eduard Rosen. Die Ausdrucksweise wurde nicht verändert und mutet heute teils ungewöhnlich, teils belustigend an. Die Schreibweise wurde der heutigen angepasst.  

Kapitel 1

In des Bürgermeisters Hause zu Schweinfurt, Frankens alter, freier Reichsstadt, saß an einem unfreundlichen Winterabende des Jahres 1549 die Rüffer'sche Familie versammelt um den zierlich geschnitzten. mit seinen weißen Linnen gedeckten Tisch, auf dem das Nachtmahl aufgetragen war. - Stille war es in dem hell erleuchteten Gemach, während draußen der Sturmwind die Schneeflocken  wider die Fenster warf und die offenen Schirmläden in ihren Angeln schüttelte. Die Mahlzeit war lautlos beendet, stumm schauten die Frauen bald sich gegenseitig, bald den Bürgermeister an, der in trüben Sinnen verloren, auf seinem Armstuhle saß, und heute ganz gegen seine sonstige Gewohnheit nicht einmal das unschuldige Tändeln seines Erstgebornen Luitpold zu beachten schien. Bekümmert erhob sich endlich des Herrn Rüffers junge Ehewirtin vom Stuhle, und nahte, durch einen Wink der Schwiegermutter ermutigt, ihr jüngstes Kind auf dem Arme dem in tiefes Schweigen versunkenen Gatten, welcher finstre Gedanken brütend auf den Boden des silbernen Bechers stierte, der bald geleert vor ihm stand.

Leise tippte die liebliche Hausfrau auf die Schulter des jungen Eheherrn, der, wie er den Kopf in die Höhe richtete, und sein freundlich ihm zulächelndes Weib mit dem blondgelockten Mädchen auf dem Arm erblickte, eine von den herrlichen Madonnen zu schauen wähnte, wie sie der Vielgereiste auf den Gemälden Correggio's bewundert hatte.

Lieber Herrmann! flüsterte über des Stuhles Lehne zu ihm sich neigend, Frau Elsbeth zärtlich ihm zu; was sitzest du da mit dem gramgefurchten Antlitz und peinigest uns durch dein trübes Schweigen? Du denkst wohl nicht daran. setzte sie mit zartem Vorwurfe hinzu, dass heute ein Tag der Freude für Dich sein sollte?

Ein Tag der Freude? fragte kopfschüttelnd Herr Rüffer.

Freilich! heut ist ja Katharinentag und somit ein Jahr dahin, seit unser Töchterchen Katharina das Licht der Welt erblickte.

Gute Elsbeth! rief der Bürgermeister, die holde Gattin und sein Kind an die Brust drückend, und beide freundlich herzend, aus. Du verstehst es, freundliche Augenblicke in mein bewegtes Leben zu zaubern! - Nun! auf unsers Kindes Wohl! sprach er, ihr den neugefüllten Becher überreichend, züchtig nippte die holde Frau, und gab ihn dem heiter gewordenen Gatten zurück, der, nachdem er mit seiner ehrwürdigen Mutter, und seiner Frauen Schwester, der schönen siebzehnjährigen Kunigunde angestoßen, in raschen Zügen den guten Wein hinunterschlürfte, der, ein Erbteil seines Vaters, dem eigenen Rebstocke auf Schweinfurts Hügeln entsprossen war.

Frau Elsbeth entfernte sich dann auf einige Augenblicke mit der Magd, das Kind zur Ruhe zu bringen, während die besorgte Kunigunde den kleinen Philipp, des Bürgermeisters jüngsten Sohn, an dem Vater hinaufhob, dass er sein Küsschen dafür in Empfang nehme, und dann mit dem muntern Wildfang, und dem vierjährigen Luitpold, der indessen der Großmutter die Hand geküsst hatte, der Schwester folgte.

Hätt' ich doch nie geglaubt, rief der Bürgermeister, als Weib und Schwägerin fort waren, der Frau Sabine, seiner Mutter zu, die den beiden liebevoll nachschaute; dass Elsbeth mich so glücklich machen würde; Ich liebe mein Weib feuriger, als ich je lieben zu können meinte, heißer als jene....

Du warst ja stets ein guter Sohn, unterbrach ihn Frau Sabine, und du genießest durch dein Eheglück somit nur verdienten Lohn. Du bist selig an der Seite der Gattin, welche deine sorgsame Mutter dir zuführte, nachdem sie sie erzogen, und du erntest so die Frucht deines Gehorsams, während jene eitle Weyrachin dich nur elend gemacht haben würde.

Dankend drückte der edle Sohn der freundlichen Greisin die Hand, und dann sagte er, wie in alte Rückerinnerungen sich verlierend vor sich hin: und doch, glaubt mir es, Mutter! betete ich damals das leichtsinnige Geschöpf, diese Gertrude, mit einer Leidenschaft an, die mir heute, im Vergleich mit der reinen Liebe, die ich zu meiner Elsbeth hege, fast unbegreiflich scheint.

Mit buhlerischen Künsten, entgegnete die Mutter, hatte die Gefallsüchtige dich umstrickt, wie sie später zu Ingolstadt einen spanischen Hauptmann gefesselt haben soll; sei froh, das Netz zerissen zu haben, das die Heiratslustige über dich den Verblendeten geworfen hatte, denn an ihrer Seite wäre dir kein Segen erblüht.

O! für das Scheinglück, das sie mir bieten konnte, rief der Bürgermeister aus, entschädigt mich hundertfach der Himmel, den ich mit meinem Weibe teile, und ich tauschte jetzt nicht mit unserm Kaiser, der mir, betracht ich mein Glück, arm wie ein Bettler vorkommt. Dass mir der Weyrachin edler Bruder, seit ich sie verschmäht, feind geworden und mich unversöhnlich hasst, verbitterte mir im Anfang manche Stunde. Doch er ist, seitdem er geächtet worden, hier nicht mehr erschienen und ich trachte, hab ich ein Unrecht an seiner schwester begangen, es an ihm gut zu machen, indem ich seine verlassnen Kinder von Zeit zu Zeit besuche, zu sehen ob ihnen nichts mangle.

Freudig blickte Frau Sabine auf den Sohn, der das Ebenbild seines edlen Vaters war; in demselben Augenblicke kamen die beiden Schwestern zurück, und während Kunigunde nebend er Greisin sich niederließ, schmiegte Frau Elsbeth sich zärtlich an des Eheherrn Seite.

Bist du wieder freundlich, mein Herrmann? fragte sie ihn leise.

Wer könnte, hätt' er in dein reizendes Auge geschaut, der Sorgen noch gedenken, erwiderte er sanft schmeichelnd, und einen flücht'gen Kuss auf die zarterrötende Stirne des himmlischen Weibes drückend, Herr Rüffer. Möcht' ihr's nun wissen, fuhr er zu den Übrigen gewendet fort, was vorhin meine Seele so bestürmte. Als ich nämlich diesen Abend das Rathaus verließ, erhielt ich noch spät die Botschaft von einem Freunde aus des Kaiser's Umgebung, Grandella drohe das Interim, trotz unsrer Supplikationen, mit Gewalt bei uns einzuführen.

Gott behüte uns, rief ängstlich Frau Sabine, will man uns auch noch einen fremden Glauben aufdringen?

Vielleicht gar unsrer Stadt Besatzung geben? sprach bekümmert Frau Elsbeth.

Das ist's wwas ich am meisten befürchte, beteuerte der Bürgermeister, die Stirne runzelnd; und wie die Kaiserlichen die Ketzer bekehren, ist ja allmänniglich bekannt.

Konnte ja kaum, als ich vor zwei Jahren bei der Muhme in Wittenberg war, schaltete Kunigunde ein, des Kaisers eigne Gegenwart den Greueln der zügellosen Soldaten des Alba Einhalt tun, wie mögen sie erst da hausen, wo des Herrn Auge nicht hinreicht.

Wir müssen uns auf das Ärgste gefasst machen, sprach, sich von dem bequemen Armstuhle erhebend, der Bürermeister. Ich habe deshalb beschlossen, die Schöffen noch heute aufzusuchen, um selbst mit ihnen mich über die schnell zu treffenden Vorkehrungen zu besprechen, denn Eile tut Not, wer weiß, ob nicht schon die Unterdrücker auf dem Wege sind, und mir ist nicht wohl, bevor ich nicht alles getan habe, die Wohlfahrt der mir anvertrauten Bürgerschaft zu schirmen.

Siehst Du, Elsbeth, fuhr er zu seiner Gattin gewendet fort, indem er auf den silbernen Ehrenbecher wies, den er vor zwei Jahren bei seiner Erwählung zum Bürgermeister von den jungen Bürgern erhalten hatte, und auf dem künstlich gearbeitet einerseits das Stadtwappen mit dem ausgespreizten Adler und andererseits das Siegel seiner Familie, mit dem Pelikan, der seine Jungen füttert, sattlich prangte - wie dieser Vogel, den mein Ahnherr zum Sinnbild seines Wappens erwählte, wollte ich mein Herzblut verspritzen, könnt es zum Nutzen meiner Geburtsstadt gereichen, deren Kinder mich zum Vater adoptierten. Was auch geschehe, erinnerte in mütterlicher Sorgfalt Frau Elsbeth, vergiss nicht, mein Herrmann, dass Du leibliche Kinder hast.

Sei unbesorgt, liebes Weib, tröstete Herr Rüffer, sie gehören mit zu meinen Bürgern. Doch die Zeit eilt, setzte er hinzu, indem er nach der Sanduhr blickte, deren letztes Viertelstundenglas fast leer gelaufen; gleich ist es acht, nun bin ich sicher, die Schöffen zu treffen und ich muss jetzt fort. Mit diesen Worten langte er nach dem Schwert, das in der Ecke des Gemachs stand, und das er an seiner Linken angurtete, indes die freundliche Kunigunde ihm das Barett reichte. Eben wollte er nach dem Ratsherrnmantel greifen, der noch über dem Stuhl hing, da trat Frau Elsbeth von dem Fenster zurück, an dem sie hinaus geschaut hatte nach dem schwarzumwölkten Himmel, von dem der Schnee in großen Flocken herabfiel, die der Sturmwind durch die Gassen peitschte.

Herrmann! nicht diesen da! bat die sorgsame Gattin, du könntest dich erkälten.

Wie besorgt Du bist, gutes Weib! sprachfreeundlich der Eheherr, ihr die Wange streichelnd - nun so reiche mir den schweren Reitermantel, der wird mich schützen bei dem Unwetter.

Rasch brachte die Hausfrau den langen Tuchmantel herbei, und warf ihn über die Schultern des geliebten Mannes, der Abschied nehmend, ihr nun die Hand reichte.

Soll Velten Euch nicht leuchten, Schwager, fragte Kunigunde.

S'ist nicht so finster draußen, und bis zum Schützenkönig hinaus werd' ich mich ja nicht verirren, meinte lächelnd der Gefragte.

Wie? so weit willst Du gehen jetzt bei dunkler Nacht? schaltete ängstlich Frau Elsbeth ein.

Nun! die Schenke ist ja nur im Zwinger, ich lasse mir die Fischerpforte öffnen, da bin ich gleich draußen, und Räuber hab' ich keine zu fürchten in unserm weichbild, das muss ich als Oberhaupt der Polizei ja am besten wissen, entgegnete scherzend der Bürgermeister; doch, setzte er hinzu, kannst du, Elsbeth, mir ehe die zehnte Stunde angeschrieen wird, Velten und Heiner mit der Sänfte schicken, dass sie mich hereintragen. Nun, guten Abend, Kinderchen! sprach er zu Elsbeth und der Schwägerin, und der alten Mutter die Hand reichend, rief er ihr noch ein Ade zu.

Als der Hausherr sich entfernt und Elsnbeth nach ihren Kindern geschaut, auch des Bürgermeisters Befehl an Velten ausgerichtet hatte, rückten die drei Frauen den Tisch näher an den wohlgeheizten Ofen, und suchten ihre verschiedenen Arbeiten hervor. Die Großmutter, Frau Sabine, handhabte die Spindel, Elsbeth drehte rasch das damals noch nicht allbekannte Spinnrad, welches kurz zuvor Steinmetz zu Wolfenbüttel, Namens Jürgens, erfunden hatte, und Kunigunde setzte sich, an der Frauen Seite mit einer schönen Seidenstickerei nieder, die zu ihrem Sonntagsputz bestimmt war.

Nun, fragte Frau Sabine auf Kunigundens Arbeit deutend, ist dein Hochzeitsstaat bald fertig?

Hochzeitsstaat? antwortete gedehnt Kunigunde, das Köpfchen senkend.

Ei sieh doch, meint das Jüngferchen, ich hätte nicht schon bemerkt, dass unsers Nachbars, des Senators schmucker Philipp ihr gar gewaltig in die Augen gestochen - ja, ja! mach du nur ein Mäulchen, setzte die schelmische Alte hinzu.

Ach Großmutter! Ihr scherzt wohl? erwiderte errötend das Mädchen.

Hör, Gundchen! mach mir keine Faxen! eiferte Frau Sabine, mit dem Philipp ist's nicht richtig; wenn ich auch eine Brille trage, bin ich doch nicht blind und sehe gar wohl, wie der schlanke Junker des tages wohl zwanzig Mal, wann er an unserem Hause vorbeischlendert, heraufstiert, als wollt' er die Fenster durchglotzen; du wirst mir doch nicht etwa weiß machen wollen, dass das mir zu lieb geschehe, he, Gundchen?

Die Gefragte senkte das Köpfchen noch tiefer auf die Stickerei -s'ist wahr, sagte sie, der Philipp folgt mir auf allen Stegen und Wegen, und ich bin ihm auch recht gut, und mir im letzten Herbst in den Mainleiten draußen manche vergnügte Stunde gemacht hat; und die Kinder, den Luitpold und den kleinen Philipp so gern hat, und sie fast täglich mit einem kleinen Geschenk überrascht; aber dass ich ihn liebe - hier verstummte sie plötzlich. Unterliegt wohl bei solch bewandten Umständen keinem Zweifel? scherzte Frau Sabine. Kunigunde schüttelte verneinend das lieblich errötende Köpfchen; ungläubig schaute die Großmutter auf sie hin.

Ihr seid im Irrtum, liebe Schwieger! beteuerte Frau Elsbeth; Schwester Gundchen hat mir ihr Geheimnis offenbart, und mich auf dem Grunde ihres Herzens das Bild eines schmucken Kriegssohnes erblicken lassen.

Gott sei bei uns! wandte sich Frau Sabine an Kunigunde, eine Soldatenfrau willst du werden, du gottloses Kind, jetzt wo der Krieg durch ganz Deutschland seine Geisel schwingt?

Nun! bin ich denn nicht auch eines Soldaten Weib, fragte scherzend Frau Elsbeth, stritt nicht auch mein Herrmann, nach dem er als Chirurg zum Heere gegangen, tapfer in Italien, und war in der Schlacht bei Cerisoles ein tüchtiger Kämpe gegen die Franzosen, und ist doch jetzt der ruhigsten Bürger einer, der mit Weib und Kind glücklich und zufrieden lebt.

Ja, er hatte da die Arzneikunde studiert und war nicht mehr Soldat als e dich heimführte als seine Gattin, entgegnete bedächtig Frau sabine.

Ist denn nicht in heut'ger Zeit ein Jeder Soldat? rief die Hausfrau aus. wer weiß, ob nicht der Bürger noch selber zum Schwert greifen muss, seinen Herd zu verteidigen gegen die fremden Götter und Häscher, wer steht mir dafür, dass ich nicht bald wieder eines Kriegers Weib sein werde, wenn die Gefahr drohend an unsere Mauern sich wälzt? Drum will ich auch der Schwester Liebe gar nicht missbilligen, denn ihr Geliebter könnte ja auch, teilt er ihre Gefühle, in den Bürgerstand zurücktreten, wie mein Herrmann,-aber das ist noch im weiten Felde. Denn sie weiß nicht, wo er weilt der Held ihrer Träume, noch wie er heißt mit dem Geschlechtsnamen, denn Friedrich's gibt es noch viele.....

Wie? Du kenns nicht einmal den Namen Deines zukünftigen Gesponsen? fragte lachend die Großmutter.

Nun, so erzähle doch, Gundchen! sprach des Bürgermeisters Gattin der Schwester zu.

Wie ich vor zwei Jahren, hob leise Kunigunde an, in Wittenberg bei der Muhme war, da kam nach der Schlacht an der Elbe der Kaiser mit seinen Truppen in diese Stadt, der Churfürstin, die in seinem Lager zu Gunsten ihres Mannes, den er gefangen hielt, einen Fußfall getan, einen Besuch abzustatten.

Seit des Kaisers Ankunft war in der protestantischen Kirche kein Gottesdienst gehalten worden, weil man des Siegers Zorn fürchtete. Als dies aber der Kaiser erfuhr, da wunderte er sich sehr, und sagte der Churfürstin: "Wenn dieses in seinem Namen geschehe, so tue man ihm keinen Gefallen daran; da er in den hochdeutschen Landen nichts in der Religion gewandelt, wüsste er nicht, warum er es sollte zu Wittenberg tun?"

Hierauf ging der Gottesdienst wieder an, und als ich den darauf folgenden Ostersonntag aus der ersten Predigt allein nach Hause ging, denn die Muhme war krank, und hatte mich nicht begleiten können, da packten mich, als ich gerade in das einsame Gässchen, wo unsre Verwandte wohnte, einbog, zwei betrunkene Soldaten gröblich an, und ängstigten mich gewaltig, dass ich fast überlaut schrie; plötzlich kam ein junger Offizier, der mein Hilferufen vernommen hatte, fast zugleich mit zwei anderen Bürgern herbei, und jagte die Gewalttäter mit tüchtgen flachen Schwerthieben davon; der eine entfloh schnell, doch der andere drehte sich noch im Davoneilen um, und da er meinen Beschützer erkannte, brummte er, indem er sich den Rücken rieb, "alle Teufel! der Obrist Friedrich klopft gut!"

Der Genannte bot mir nun den einzigen Arm, der frei war, denn der andere hing in der Binde, und fragte mich, ob ich sein Geleit bis zu meiner Wohnung dulden wolle? Dankbar nahm ich sein Anerbieten an, und bis zu der nur noch wenige Schritte entfernten Behausung der Muhme wandelte ich an seiner Seite, und auf seinem Arm gestützt. Als er mich verließ, verneigte ich mich züchtig, indess er einen feurigen Kuss auf meine Hand drückte. Ich sah ihn diesen und den folgenden tag noch einigemal durch unser Gässchen schreiten, und wann ich durch die, wegen der kranken Muhme herabgelassenen Vorhänge schielte, war es mir jedesmal, als ob er zu meinem Fenster heraufblickte; Tags darauf verließ der Kaiser die Stadt, und als er nun durch unser Gässchen zum Eisenacher Tor hinaus ritt, da erblickte ich in seinem Gefolge, dicht hinter dem jetzigen Churfürsten Moritz von Sachsen, meinen Beschützer an der Spitze eines Regiments; mir kam es vor als senke er den Degen gegen mich, da ich ein wenig das Fenster öffnete, den Zug zu sehen und seit jener Stunde hab' ich ihn nimmer erschaut.

Bald darauf starb die Muhme, und ich verließ dann Wittenberg, wie Ihr wisst. Ist er nun auch dorthin zurückgekommen, so hat er mich dennoch nicht gefunden, und wird nun wohl die schlichte Bürgerstochter vergessen haben; fügte sie fast traurig bei.

Sei nun ruhig, Gundchen! tröstete die Alte, ist deine Ehe im Himmel beschlossen, so wird auch der Bräutigam dich wieder finden. 

Hör nur, Schwieger! fiel Elsbeth ein, wie die Wetterfahne kreischt, un die Türen in den Angeln seufzen, es wird stockfinster draußen, wenn nur mein Mann wieder zurück wäre, ich muss wohl jetzt die Sänfte hinausschicken?

Warum nicht gar, entgegnete Frau Sabine, sieh nur selbst Elsbeth, es ist gerade neun - geh Kunigunde, stürze die Sanduhr wieder - und der Bürgermeister hat ja erst die Leute auf zehn bestellt, gib acht, liebe Schnur! Du verhätschelst noch Deinen Mann; wenn Dein Ehewirt schon mein Sohn ist, doch sage ich's, die Männer verdienen nicht, dass man sich so gewaltig um die gräme.

Aber mein Herrmann gewiss, beteuerte Frau Elsbeth.

Und er auch, flüsterte Kunigunde vor sich hin, in süße Träumereien versunken.

Komm her, und setze dich nieder zu mir, rief die Großmutter der Hausfrau zu, die am geöffneten Fenster stand, und in die rabenfinstre Nacht hinausschaute, Du wirst Dich dort im Durchzug gewiss noch erkälten.

Elsbeth schloss Fenster und Laden wieder, und kehrte zu ihrem alten Sitze an der Schwiegermutter Seite zurück, wo sie wieder eifrig das schöngeglättete nussbaumne Spinnrädchen drehte, und dazwischen den feinen Silberfaden durch die zarten Finger laufen ließ, von zeiz zu Zeit nach der Uhr herüberschielend, in der ein Sandkorn nach dem Andern sich ablöste, und wie die Sekunde in der Zeituhr des Kronos herabrann zu seinen Vorgängern. Eine Weile saßen die Frauen stumm bei einander, Frau Sabine knüpfte ruhig einen Faden nach dem andern von der Spindel los, und unter Kunigundens kunstgeübten Händen wuchsen die Blumen auf dem Seidenstoff hervor, indes ihre Gedanken in der Ferne herumschweiften bei dem schmucken Reiter in des Churfürsten Gefolge, während das Schweigen der Frau Elsbeth, die ihres Gatten im Schützenkönig gedachte, nur durch das Schnurren ihres schnell sich drehenden Rädchens unterbrochen wurde. Doch endlich fand Frau Sabine, die sich nicht wie das neben ihr sitzende junge Mädchen ein Vergnügen daraus machte in Rückerinnerungen zu schwelgen, diese andächtige Stille denn doch zu langweilig, und sie stieß also Frau Elsbeth an mit den Worten: Kinder, seid Ihr denn stumm geworden, dass Ihr da sitzt als ob Euch die Zunge fehlte. 

Nun! so erzählt Ihr etwas, Schwieger, dass uns die Zeit schneller vergeht, bis mein Eheherr zurückkommt, bat die Bürgermeisterin.

Ach ja! Großmutter, fahrt doch in der Geschichte fort, die Ihr vorgestern Abend angefangen, von Herrn M. Spalatinus und den protestantischen Herren, sagte Kunigunde, sich der Bitte ihrer Schwester anschließend.

Nun wohl, erwiderte Frau Sabine sich gemächlich setzend, doch wo blieb ich nur stehen? "Wie beschlossen worden, dass hier zu Schweinfurt ein Fürstentag sollte gehalten werden, wobei die Kurfürsten von Mainz und Pfalz die Vermittler machen wollten zwischen dem Kaiser und den protestantischen Herren vom Schmalkaldischen Bunde", erinnerte Kunigunde.


Richtig, begann nun die Alte, - es kamen auch schon im April 1532 die Abgesandten der Unterhändler, wie sich die Kurfürsten von Mainz und der Pfalz nannten, hier an, und Tag's drauf gelangten der damalige Kurprinz Johann Freidrich, der Herzog Franz von Lüneburg und Herr Wolfgang Fürst von Anhalt persönlich und die Abgeordneten des Landgrafen von Hessen und der übrigen protestantischen Stände an in unserer Stadt. Viele Zusammenkünfte wurden gehalten, in der Mehlkirche hinten am Zürch, so damals die Kirche zur heil'gen Maria oder Unser Lieb Frauen Kirche genannt wurde (Anmerkung: heute St. Salvator), und bei sechs Wochen lang dauerte der Konvent, während welcher Zeit die vornehmen Herren allhier die ganze Woche hindurch ein gar fröhliches Leben führten. Des Sonntags aber kamen sie alle gar fleißig zu der Kirche, welche ihnen vom Magistrat war eingeräumt worden, und horchten mit Andacht auf die salbungsvollen Reden, so der gelehrte Herr Magister Spalatinus, des Kurprinzen Johann Friedrichs Hofprediger allda von der Kanzel hielt; und der neue Gottesdienst bekam bald solch einen Zulauf aus hiesiger Bürgerschaft, dass das Kirchlein zu klein war, und der hochselige Herr Spalatin dann außen auf der Stiegen stehn musste, damit seine Predigt gehört wurde von den hohen Fürsten in der Kirche und dem Volke, das davor im Gras sich gelagert hatte.

Als nachgehends Herr Spalatinus wegging mit seinen Fürsten, da liefen die Bürger hinaus nach Sennfeld, das schon in demselben Jahre die religion geändert hatte, ingleichen noch Mainberg, so damals nach hennebergisch war, um die Worte des Evangeliums zu hören, dass bald der Magistrat Abgeordnete senden musste an gemeiner Stadt Schutzherrn den Landgrafen Philipp von Hessen, ihn zu bitten, dass unsrer Stadt einen lutherischen Predikanten senden möge; er schickte auch bald den gelehrten M. Sutellius von Göttingen, der in dem Kirchlein im Zürch der Gemeinde vorgestellt wurde. Nicht lange nachher verjagte die Obrigkeit den katholischen Geistlichen seines liederlichen Lebenswandel wegen, und führte den würdigen Herrn Sutellius als Pfarrer ein in der Kirche zu St. Johann; und es wurden die Chorröcke verkauft, so wie die Kerzen, Weihkessel, Kirchenfahnen....

Gerne wird mein Gatte Euch helfen, steht es in seiner Macht, - tröstete freundlich Frau Elsbeth. Ihr müsst einen weiten Weg heute zurückgelegt haben, wandte sich neugierig Frau Sabine an ihn, dass Euer Mantel so durchnässt ist.

Statt einer Antwort nickte der Gefragte stumm mit dem Kopfe, wehmütige Blick um sich her sendend.

Von Mitleid getrieben, trat Kunigunde näher zu ihm mit der Frage, ob er nicht seines fast vor Nässe triefenden Mantels sich entledigen wolle, diesen zu trocknen.

Der Unbekannte schüttelte verneinend den Kopf, und meinte, er würde ohnedem, wär einmal Herr Rüffer zurückgekehrt, nicht mehr lange im Hause weilen.

O mein Mann ist edel und gut, beteuerte des Bürgermeisters Ehewirtin, sein Schutz ist Euch, wie jedem Hilfe Suchenden, gewiss, er wird Euch sicher nicht, da Ihr hier fremd scheint, bei der dunklen unfreundlichen Nacht von dannen lassen. Ihr seid daher mein Gast udn wollt Ihr den Mantel nicht ablegen, so nähert Euch wenigstens dem wärmenden Ofen, dass Eure Kleider trocknen, indes ich für einen Labetrunk und Imbiss Sorge trage.

Da plötzlich unterbrach ein heftiges Klopfen an der Haustüre die Erzählerin; die Frauen erhoben sich schnell, und eilten nach den Fenstern zu schauen, wer noch so spät, denn schon nahte die zehnte Stunde, den messingnen Ring in dem blankgescheuerten Löwenmaule, der als Klopfer die starke eicherne Türe zierte, in Bewegung setzte; Kunigunde streckte schnell das Köpfchen hinaus durch das Guckfenster, und berichtete hastig den ängstlich horchenden Frauen, dass ein großer in einen weiten Mantel gehüllter Mann den Bürgermeister sprechen wolle. Sag ihm, befahl Frau Elsbeth, mein Ehemann sei nicht zu Hause. Last mich hinein, flehte mit schwacher Stimme der Außenstehende, ich will ihn erwarten, ich muss ihn heute Nacht noch sprechen, sonst komm ich in's Unglück.

Der Mann dauert mich, sprach Kunigunde zu den Frauen im Gemach, er friert gewaltig draußen in dem gräßlichen Wetter.

Nun so rufe den Velten herbei, Kunigunde, ordnete Frau Elsbeth an, und lass die Tür öffnen, auch soll man gleich den Bürgermeister holen in der Sänfte.

Kunigunde eilte, nachdem sie das Fenster geschlossen, davon, und richtete schnell ihre Aufträge aus. Bald hörte man die Haustüre öffnen, und einen Augenblick später trat hinter Kunigunden eine hohe Gestalt, von einem langen weitfaltigen Mantel umwallt, in das Zimmer. Das Gesicht war nicht zu kenenn, denn ein breitrandiger Hut, dessen Krämpen herabgestülpt waren, verdeckten es; doch war keine Waffe an dem Mann sichtbar, der als er sich mit den Frauen im Zimmer allein sah, die Kopfbedeckung herab zog und nun ein sehr bärtiges Antlitz ihren Blicken preis gab. Seine blassen Wangen und hohlen Augen stachen gar unheimlich ab von den kohlschwarzen Haaren und dem langen Barte, der über seine Brust herab hing in zerzausten Locken, und aus allen seinen Zügen sprach tiefe Melancholie, und Dürftigkeit aus seiner schlecht geordneten Kleidung.

Verzeiht, edle Frauen! unterbrach nun der Fremde die augenblickliche Stille, die im Gemache obgewaltet hatte, - wenn ich noch bei sinkender Nacht Euren Hausfrieden störe; doch Not kennt kein Gebot, und mein widriges Schicksal zwingt mich, Hilfe zu suchen bei dem edlen Bürgermeister dieser Stadt.   

Mit diesen Worten entfernte sich die Hausfrau, und der Fremde trat näher zu dem gut geheizten Ofen, neben dem Frau Sabine im Sorgenstuhl saß, und ihn aufmerksam betrachtete, als erinnere sie sich dies Gesicht schon irgendwo gesehen zu haben, so dass der Unbekannte verwirrt die Augen senkte, und den Kopf zur Seite wandte, wo sein Antlitz im Schatten verschwand.

Nur wenige Sekunden später trat Frau Elsbeth wieder in das Gemach, von einer Magd gefolgt, die auf hell blinkendem zinnernen Teller die Überreste des Abendessens hereintrug, und auf den Tisch nebst blankgescheuerten Krüglein voll guten alten Weines niederstellte.

Als die Magd sich wieder entfernt hatte, nötigte Frau Elsbeth den unerwarteten Gast zum Sitzen; dankend reichte ihr der Fremde die kalte zitternde Rechte, und drückt einen warmen Kuss auf ihre zarte Hand. "Lohn Euch Gott die himmlische Güte, womit Ihr den Unglücklichen bewillkommt, edle Frau! Ihr senkt mir unendlichen Trost in mein verarmtes Herz!"

Lasst Euch nun nieder beim einfachen Mahle, und labt Euch mit dem frischen Trunke, entgegnete die Hausfrau, bald kommt mein Gatte zurück, und wird dann ferner für Euch sorgen.

Der Mann nahm Platz, und die Hast, mit der er der Schüssel zulangte, bewies genugsam, dass er durch lange Entbehrung gelitten haben müsse.

Frau Elsbeth bemerkte mit Freuden, dass es ihrem Gaste wohl schmecke, und wandte sich wieder emsig zu ihrer Arbeit, wie auch die beiden andern Frauen die mit Mühe ihre Neugierde bezähmten, und mit Ungeduld die Ankunft des Bürgermeisters oder vielmehr den Augenblick erwarteten, wo der Hunger des Fremden gestillt sein werde.

Kapitel 2

In der Herberge zum Schützenkönig im Zwinger, der sich vom Brücken- zum Mühltor dicht am Stadtwall ausdehnt und allen Volksbelustigungen zum Schauplatz diente, allwo auch jährlich das große Armbrustschießen gehalten wurde, waren diesen Abend alle Fenster des Erdgeschosses gar hell erleuchtet, so dass das freundliche Wirtshaus dem fernen Wanderer in der undurchdringlichen Finsternis, die auf der Flur lag, gar füglich zum Wegweiser dienen konnte.

Es mochte so um die neunte Stunde dieses Abends sein, da ritten zwei in weite Mäntel gehüllte Männer durch das Schneegestöber am Ufer des Main's entlang gegen die Stadt zu, nach der sie einen Weg zu suchen schienen.

Georg! rief der vordere Reiter seinem Begleiter zu, siehst du denn mit deinen Luchsaugen keinen gebahnten Weg, der nach dem nächsten Tore führt?

Gestrenger Herr Oberst! erwiderte der Diener, der Gott-sei-bei-uns hat mich, wie ich glaube, mit Blindheit geschlagen, denn ich seh die Hand vor dem Auge nicht, und obendrein muss uns der verdammte Wind auch noch seinen Schnee in's Gesicht peitschen, dass mich die Haut kitzelt, als wär sie mit Nadeln gestochen. Potz Brandenburg! rief er plötzlich aus, als sie um die Ecke ritten, seht dort rechts, Herr Oberst, sind das nicht erleuchtete Fenster? Lasst und darauf los reiten.

Sie bogen rechts zwischen die Gebüsche ein, auf einmal war es ihnen als hörten sie jemanden flüchtigen Schrittes vor sich hereilen, sie trieben die Rosse an, den Nachtwandelnden um Auskunft zu fragen; doch je mehr sie die Pferde anspornten, desto schneller entfernten sich die Schritte, plötzlich vernahmen sie einen Fall, dann blieb alles still und als sie näher gekommen waren, da tauchte fast unter ihres Rosses Hufen eine dunkle Gestalt von der Straße auf, die sich schnell im Gebüsch verkriechen zu wollen schien.

He da, Freund, rief Georg die Gestalt an. die in einen langen Mantel gewickelt war, und deren Gesicht durch einen großen Hut, dessen breite Krämpen auf die Schultern herabhingen, unsichtbar wurde, so dass man sie sogar beim hellen lichten Tage nicht hätte erkennen können, geschweige gar bei der ägyptischen Finsternis, welche unsere Reisenden umgab; sagt einmal, wo können wir in die Stadt kommen, wir sind fremd hier, und weist Ihr uns zurecht, soll es uns auf ein gut Trinkgeld nicht ankommen. 

Wir sind gleich am Tore, klang die mit dumpfer Stimme gesprochene Antwort. Folgt mir nur, setzte der unheimliche Wanderer hinzu, indem er sich aufraffte, und tüchtig voran schritt.

In wenigen Minuten war das Kleeblatt am Tore angelangt, Georg sprengte ein wenig voraus, doch bäumte sich sein Ross am Schlagbaum, der schon herunter gelassen war.

Halt, rief er seinem Herrn zu, das Tor scheint verschlossen! er stieg vom Pferde, und überzeugte sich, unter dem Schlagbaume wegkriechend, bald von der Richtigkeit seiner Vermutung.

Gibt's denn kein Mittel in die Stadt zu kommen, fragte der Obrist Freising den Wanderer, der hier bekannt schien.

Keines, brummte jener. Und ist auch kein Unterkommen in der Nähe zu finden? erkundigte sich Georg.

Wenn Ihr längs dem Walle hinabreitet, dann Euch rechts kehrt, werdet Ihr auf eine Herberge stoßen, die Euch aufnehmen kann, antwortete der Verhüllte und verschwand mit schnellen Schritten.

He Freund! nicht so eilig! schrie Georg, ihm schneller nachreitend in der besagten Richtung, hier ist das Trinkgeld. Doch der Mann war verschwunden, gerade als wäre er plötzlich in den Stadtgraben gesprungen, oder in den Wall gekrochen.

Der Kerl kann sich unsichtbar machen, wie ein Hexenmeister, sprach Georg, sich zu seinem Herren wendend, der indes nachgekommen war, denn ich sehe nichts mehr und höre auch keine Schritte!

Nun, um sich unsichtbar zu machen, braucht's bei der Dunkelheit wirklich keiner Hexenkunst, antwortete lachend der Oberst, wenn wir nur das Wirtshaus finden, das ist die Hauptsache.

Da ist's schon, rief Georg, der eine Pferdeslänge vor seinem Herrn vornher ritt, und soeben das erleuchtete Erdgeschoss der Schenke zum Schützenkönig erblickt hatte.

Sie ritten näher an das Haus heran, und konnten jetzt durch die Pfennigscheiben das Innere der Herberge erkennen, die von einer großen Ampel, welche in der Mitte der Stube von der Decke herabhing, erhellt wurde, und wo noch eine Menge Gäste beim Kruge Weins sich vergnügten.

Georg klopfte mit der Reitgerte an ein Fenster, indem er dazu seine volle Bassstimme mit dem Rufe: "Holla, Herbergvater!" ertönen ließ.

Sogleich wurde dasselbe geöffnet, und des Schenkwirts pausbackiges Antlitz kam zum Vorschein. Der Lichtstrahl. der durch die Pfennigscheiben auf die reich geschmückten Pferde fiel, überzeugte schnell den klugen Herberger, dass er es nicht mit Marktkrämern zu tun habe, und darnach seine Rede modelnd, fragte er höflich, was den gestrengen Herren beliebe?

Ein freundlich Quartier für uns, nahm der Oberst das Wort, und ein gutes Lager für die Pferde. Steht beides Euer Gnaden zu Befehl, erwiderte der Wirt schmunzelnd, dass solch reiche Gäste ihm geworden, was nur selten der Fall war, da natürlich alle Fremde in der Stadt ihr Quartier nahmen und er sich daher mit den städtischen Zechern begnügen musste, die ihn regelmäßig jeden Abend auf ein Krüglein guten Rebensafts besuchten. Schnell schloss er das Fenster, und rief dem Knechte, dass er die Rosse unterbringen solle, indes er selbst mit dem Lichte in der Hand zur Tür hinauseilte, damit die Herren nicht länger in dem Unwetter draußen warten müssten.

Beide Reiter waren schon abgestiegen, und Georg hielt die beiden Pferde, indes sein Herr in die Hausflur trat, wo er den Schnee von Hut und Mantel abschüttelte, und von dem eifrigen Wirt willkommen geheißen wurde, der ihn sogleich einlud in die wohlgeheizte Schenkstube zu treten, bis sein Quartier bestellt sein werde.

Ehrerbietig grüßten die zechenden Bürger den Neuangekommenen, der nach allen Seiten freundlich dankend, nach dem warmen Ofenplätzchen schritt, wo er sich des langen durchnässten Teitermantels entledigte, und nun wie der blanke Kern aus der unansehnlichen Schale zu aller Verwunderung als ein sehr schmucker Ritter hervortrat. Ein feines braunes Gewand mit echtem schwarzen Samt ausgelegt, schloss sich eng an die schöne Gestalt des jungen Mannes, darunter das weitgeschlitzte Wamms von derselben Farbe, die trafflich passenden engen Hosen von niederländischem Tuch, die sich in den hohen aufgestülpten Reiterstiefeln verloren, an denen schwere goldene Sporen klirrten, das lange Schwert an seiner Linken, dessen Griff mit edlem Gestein besetzt war, zog aller Blicke auf sich, und als nun der Fremde den einfachen Hut, den nur eine schwarze, von goldener Agraffe gehaltene Feder zierte, abzog und auf den Tisch warf, da staunten die Bürger und wohlgefällig blickte des Schenkwirts Tochter, die braunwangige Marie auf den schönen, kaum dreißigjährigen Mann, aus dessen von blonden Locken umwallten Antlitz eine dauerhafte Gesundheit sprach, und dem der dichte Schnurrbart gar herrlich passte.

Der Fremde schaute im hellen Gemache sich um, wo alles von der Wohlhabenheit des Wirtes zeugte, und schien, durch der Bürger Aufmerksamkeit eher geschmeichelt als gestört, mit Wohlgefallen zu bemerken, wie aller Augen bewundernd auf ihm ruhten. Sein Blick fiel zunächst auf den langen, ganz besetzten Tisch zu seiner Rechten, an dem mehrere wohlhabend gekleidete Männer in Bürgertracht saßen, die ehrerbietig auf einen jungen Mann mit ernstem würdevollen Gesicht schauten, dem sie an ihrer tafel den Ehrenplatz eingeräumt zu haben schienen, und den ein auf dem einfach schwarzen Gewande gar stattlich prangendes Ehrenkettlein von allen andern Gästen als den Vornehmsten bezeichnete, wäre dies auch nicht aus dem achtungsvollen Benehmen der anderen gegen ihn hervorgegangen, so wie aus der ehrfürchtigen Weise, womit der wieder eingetretene Schenkwirt gebückt vor ihm stand, und ihm, dessen Blicke auf dem Fremden ruhten, leise seine zugeflüsterten Fragen antwortete.

Der Fremde musste es fühlen, dass von ihm die Rede war, und um das Gespräch zu unterbrechen, winkte er dem Hausherrn zu sich heran. Dieser, gegen den Bürgermeister, denn er war es, der da unter den Schöffen am nächsten Tische saß, eine Entschuldigung stammelnd, eilte zu seinem neuen Gaste, dessen Wille zu erforschen.

Sorgt mir für einen Imbiss und einen Trunk alten Weins, befahl der Fremde.

Soll Euch gleich werden, gestrenger Herr Ritter, erwiderte unterwürfig der Gastwirt, der dann seiner Tochter zuherrschte, dass sie das Nachtessen für den Fremden besorge.

Das Klappern des Deckels einer zinnernen Kanne rief den dicken Schenkwirt in eine andere Ecke der Stube, während die hübsche Wirtstochter noch immer unbeweglich auf ihrem vorigen Platze stand, als hätte sie des Vaters Befehl nicht vernommen, und die Augen nicht von dem jungen Fremden losreißen konnte.

"Potz, Löffel und Bratspieß!" brach der Alte los, als er zum Schenktisch kam, und seine Tochter untätig, und seine Order nicht ausgeführt sah, - steht das Mädel da, und glotzt in's Blaue hineien, indes die Gäste verhungern und verdursten. Gott behüte eine Wirtschaft vor einem Mädel, das Braut, und zugleich mit den Gedanken immer im dritten Himmel anstatt beim Weinschank ist. Mile! rief er dem, wie aus dem Traume erschrocken auffahrenden Mädchen zu, tummle dich, dass der Herr seinen Imbiss bekomme, und hastig reichte die Gescholtene nach einem der blankgescheuerten zinnernen Teller, die freundlich zwischen hellglänzenden Bechern und Kannen prangend von dem Schafte berabschauten, und holte aus der Küche ein schönes Stück Schweinsbraten, und trug es beschämt zu dem Gaste hin, nicht denkend an Freitag und Fasten, die der protestantisch Erzogenen unbekannt waren. Doch dem erfahrenen Gastwirt fiel seine Unvorsichtigkeit, nicht nach der gewünschten Speise gefragt zu haben, bei der Besorgnis, sein Gast möchte ein Katholik sein, mit der Erinnerung, dass gerade heute ein Freitag, zentnerschwer auf's Herz.

Mit dem beliebten Ausruf "Potz Löffel und Bratspieß!" steuerte er auf den Fremden zu, sich ängstlich entschuldigend, wie er nicht bedacht, dass heute ein Freitag sei, und er deshalb gleich, wenn es seiner Gnaden gefiele, magere Speisen auftischen lassen wolle.

Hat nichts zu bedeuten, mein lieber Wirt, erwiderte ruhig der Gast, indem ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen schwebte, - ich komme aus Sachsen, und da bekümmert sich kein Mensch um den Freitag; und gleichsam dies zu beteuern, hieb er nun so eifrig auf das Stück Fleisch ein, als gält es das Heil seiner Seele.

Es war, als hätten diese ziemlich laut gesprochenen Worte nicht allein den Wirt sondern alle Anwesenden beruhigt, denn der an einem Freitag Schweinsbraten verzehrende Fremde konnte weder ein Jude noch ein Katholik, und also ihnen, den Lutheranern uch kein Feind sein. - Bald fingen auch die Gespräche, in denen sie der Neuangekommene gestört zu haben schien, wieder an lauter zu werden, und eifrig wie in unsern Tagen, tummelte sich der Kobold der politischen Kannengießerei zwischen den Zechern herum.

Während in der einen Ecke das Thema von den Türken, die sich wieder an der Grenze von Siebenbürgen regten, abgehandelt wurde, war an dem Tische, da der Bürgermeister und die Schöffen saßen, die Rede von dem unglücklichen Landgrafen, Philipp von Hessen, den der Kaiser gefangen mit sich schleppte nach den Niederlanden, wie auch den Churfürsten Johann Friedrich.

"Man merkt's nur zu deutlich, ließ sich einer der Schöffen vernehmen, dass der Kaiser und die Herren vom Hofe dem wackern Herrn Philipp gar gewaltig aufsätzig sind, und der Herzog Alba und der Granvella mögen sich da freuen, dass sie einen deutschen Fürsten so in den Klauen halten."

"Ja! wenn der hochselige Kaiser Maximilian noch lebte, bemerkte ein Andrer, da wär's freilich anders; der hätte nicht zugelassen, dass man einen Vertrag verfälscht und einen Biedermann wie den Landgrafen, der sich auf Treu und Glauben ergeben, heimtückisch hintergangen hätte; überdies war er dem Herrn Philipp wohlgewogen, wie er dies wohl bewies, da er ihn im vierzehnten Jahr mündig erklärte, und auch gar höchlich belobte, da der damals kaum zwanzigjährige Held Anno 1523 dem Unwesen des Franzen von Sickingen so schnell ein Ende machte, und bald darauf dem Bauernkrieg Einhalt tat, indem er die Aufrührer besiegte.

"Das herz möchte einem brechen, wie der durchlauchtigen Frau Landgräfin, der Gott eine fröhliche Urstätt schenken wolle, nahm der Bürgermeister das Wort, - wenn man bedenkt, wie schimpflich es für unsre Nation, dass der Kaiser zwei ihrer edelsten Fürsten, den Churfürsten Johann Friedrich, und unsrer Stadt Schutzherrn den wackren Landgrafen, in seinem Gefolge mit sich schleppt nach fremden Landen, wie ein Paar Wundertiere, mit denen er die Schaulust seiner Niederländer, die ihm ans  Herz gewachsen scheinen, befriedigen wolle."

Der fremde Gast, der bisher nur mit seinem Nachtmahl beschäftigt geschienen, musste durch das eben Gehörte  überrascht sein, denn mit besonderer Hast wandte er sich an den Sprecher, den er wegen seines Halsschmuckes ohnedem mehr beachtete als die Andern, mit den Worten: Mit Verlaub, gestrenger Herr, wenn sich ein Fremder in Euer Gespräch mischt, aber was ich soeben vernommen, hat mich so unangenehm berührt, dass ich es nur von Euch bestätigt glauben möchte: Ihr sagt, die Landgräfin sei tot?

Schon seit fünf Tagen, beteuerte Herr Rüffer, - unser Mitbürger und Schöffe, Herr Wolfram, setzte er hinzu, auf einen der Anwesenden deutend, hat sie vor drei Tagen als Leiche gesehen.

Ehe ich vor'gen Dienstag Kassel verließ, fuhr der Bezeichnete fort, ging ich noch, da ich erfahren, dass die hochselige Frau Landgräfin bereits auf dem Paradebette zu sehen, nach der Kapelle im Schlosse, wo das Castrum Doloris, wie sie's nannten, aufgeschlagen sein sollte. Alles war schwarz behängt, und auf hohem Katafalk lag die edle Frau mit dem schönblassen Antlitz, und eine große Menge Volks stand vor dem Gerüste, das sie trug, zu dessen Füßen die Offizianten des fürstlichen Hauses den Verlust der Herrin beweinten. Aller Leute Mund war ihres Lobes voll und so erfuhr ich denn, dass die durchlauchtige Fürstin vor Kummer über das Unglück, so ihren tapfern Gatten betroffen, gestorben, und dass hauptsächlich der Gram über die unwürdige Behandlung des Herrn Landgrafen in den Niederlanden, von der sie erst kürzlich Nachricht erhalten, ihr vollends das Herz abgezehrt. Man erzählte sich nämlich, der Landgraf hätte an einem katholischen Fasttag einer Unpässlichkeit halber, die ihm zugestoßen, ein Gericht Fleisch begehrt; dies sei ihm gebracht worden, solches ersah aber der Offizier der spanischen Wache, und warf das Fleisch zu des Landgrafen Füßen auf die Erde.

Allgemeiner Unwille wurde nun in der Schenke laut, und einer der Bürger brach die Verwünschung aus: Vermaledeite Schurken, die Spanier; meinen auch, man macht einen deutschen Fürsten wie so einen lumpigen Granden in ihrer bigotten Heimat, wo jeder Schuft, wenn ihn der König zufällig einmal geduzt hat, seinen Hut in des Monarchen Gegenwart als Grande des Königreichs aufsetzen darf.

Das betrübt mich sehr, sprach jetzt der Fremde, dass ich dem Herrn Landgrafen solch traurige Nachricht bringen soll in sein Gefängnis.

Wie? fragte schnell der Bürgermeister, Ihr sucht ihn auf in seinem Elend?

Ja, werter Herr, entgegnete jener, ich reise nach Dudenaerde in Flandern, wo Herr Philipp jetzt gefangen gehalten wird, und wollte zuerst auch bei seiner durchlauchtigen Gattin mich Rat's erholen.- Könnt Ihr mir nicht sagen, wandte er sich fragend an den Schöffen Wolfram, ob ich den Prinzen Wilhelm, des Landgrafen ältesten Sohn, jetzt wohl zu Kassel finden werde?

Euer Gnaden werden dort zur guten Stunde eintreffen, erwiderte der Schöffe.

Darf ich Euch bitten, gestrenger Herr, sprach nun der Bürgermeister zu dem vornehmen Gaste, dass Ihr, wann Ihr den Schutzherrn unsrer Stadt, den Landgrafen besucht, ihm vermeldet, dass die Bürger seiner Stadt Schweinfurt ihm noch herzlich ergeben, und mit Sehnsucht den tag seiner Befreiung erwarten.

Der Landgraf ist Euer Schutzherr? fragte verwundert der Andre.

Schon seit sieben Jahren, antwortete Herr Rüffer; da Anno 1542 der Stadtmagistrat dem Grafen Wilhelm von Henneberg den Schutz aufgesagt, hat die sämtliche Bürgerschaft einstimmig den Landgrafen Philipp von Hessen zum Schutzherrn angenommen, zum gr0ßen Ärgernis derer von Henneberg und Würzburg.

Es wird den wackren Herrn freuen, solch einen Beweis der Anhänglichkeit in seiner Verlassenheit zu erhalten, beteuerte der Fremde.

Plötzlich wurde draußen vor der Schenke der Jubelgesang eines Wanderers laut, und als er näher kam, konnte man deutlich seine Worte unterscheiden:

Katholik und Kalvinist!

Schlichtet euren argen Zwist,

Denn der böse Antichrist

Endlich nun gestorben ist.

Gleich darauf steckte der Sohn des Senators Wesenius den Kopf zur Türe herein, und da er den Vater erblickte, eilte er auf ihn zu, froh ihn noch zu treffen.

Gottlob, dass ich Euch endlich finde, Vater, hab' ich Euch doch bei der Muhme gesucht, und im Adler, und endlich erfahren, Ihr hättet dem Herrn Bürgermeister versprochen hierher zu kommen, sagte er, indem er den andern Gästen bewillkommnend die Hände schüttelte und den Bürgermeister und auch den Fremden freundlich grüßte.

Was treibt Dich so spät daher, Philipp, ich erwarte Dich erst für morgen, und was singst Du so laut auf der Straße vom Antichrist, wie der Geselle, der von der Arbeit lommt? fragte streng der Vater.

Das Lied hab' ich diesen Nachmittag zu Würzburg von den Buben gehört, sagte Philipp, und es ließ mir keine Ruhe mehr, bis ich Euch die wicht'ge Nachricht gebracht hätte von dem Ableben des Antichristen, des Papstes Paul III.

Was? riefen die Bürger, ist sie tot die babylonische Hure zu Rom? (so nannten damals die erhitzten Lutheraner den Statthalter Petri, der leider auch wirklich, wie die geschichte erzählt, ein lasterhafter und ausschweifender Mann war).

Ja, ja, beteuerte des Senators Sohn, ich hab' es von dem Schreiber des Bischofs selbst.

Nun, Gottlob, brummte einer der Zecher, ieder ein Menschenquäler weniger auf der Welt.

Jetzt fehlte nichts mehr, fiel ein Andrer ein, als dass der Kaiser auch endlich einmal seinen Vorsatz ausführte, so wären wir Protestanten alle unsre Unterdrücker los, und können wieder einmal frei aufatmen, denn mit dem Interim würden wir dann schon fertig.

Welchen Vorsatz? fragten mehrere.

So wisst Ihr denn nicht, erzählte jener mit wichtiger Miene, dass der Kaiser Karl als Don Franz von Borgia ihm seine Absicht eröffnete, Hof und Welt zu verlassen, um in ein Jesuitenkloster zu gehen, diesem im Vertrauen geäußert, dass er ein gleiches zu tun gesonnen sei, sobald sein Sohn von Spanier den Zepter würde halten können.


Da hätte es mit dem Worthalten auch keine Eile, meinten einige Lacher, denn eine Kaiserkrone lege man eben nicht ab, wie eine Schlafmütze, die einem zu eng wird.

Der Fremde erhob sich nun, da man ihm gemeldet, dass sein Schlafgemach bereit, und entfernte sich, die Anwesenden freundlich mit dem Kopfe grüßend, mit Milen, die ihm mit dem Lichte in der Hand voranging nach dem oberen Stockwerke, wo sein Diener Georg seiner harrte.

Kaum hatte jener das Gemach verlassen, sah auch Herr Rüffer nach seiner Sackuhr, ein selten Erbstück seines Vaters, der dies Prachtexemplar der damals ihrer Form wegen sogenannten Nürnberger Eier bei dem Erfinder derselben, dem Uhrmachermeister Peter Hele selbst eingekauft hatte.

'S geht stark auf zehne, sagte der Bürgermeister, man wird mich gleich abholen. Also es bleibt dabei, werte Mitbürger, fuhr er fort, sich an die Schöffen wendend, wie wir besprochen, wir wehren uns, gleich den andern Reichsstädten trotz des Ministers Granvella's Bemühungen, gegen das gottlose Interim, so der laue Churfürst von Brandenburg erdacht, ind weichen nur der Gewalt!" "Ja! nur der Gewalt!" sprachen fast einstimmig die Schöffen.

In demselben Moment trat des Bürgermeisters Knecht in die Schenke und meldete mit geziemender Demut seinem Herrn, dass die Sänfte bereit stehe, und seine Hausfrau ihn bitten lasse, schnell zurück zu kommen, da jemand zu Hause auf ihn warte.

Sogleich nahm Herr Rüffer, um nicht länger seine Ehewirtin allein zu lassen mit dem Fremden, von den andern Abschied, und drückte noch im Abgehn seinem Nachbar, dem Senator Wesenius, eine gute Nacht wünschend, die Hand, zugleich dessen Sohne freundlich zunickend.

Kaum hatte sich der Bürgermeister entfernt, da erinnerte der Senator die andern, dass es Zeit sei an die Heimkehr zu denken, da die Fischerpforte um zehn Uhr geschlossen werde, und allmählich brach einer nach dem Andern auf, so dass, ehe noch die zehnte Stunde ausgeschrieen wurde, der Schützenkönig verödet lag, und der dicke Schenkwirt in aller Ruhe die Ampel, welche das große Gemach beleuchtete, auslöschen konnte. Er hielt dann noch der Tochter eine Predigt über Brautstand und Ehe und meinte, wie ihr Verlobter, der Herr Verwalter im Ebracher Hof, wohl schwerlich so zusehen würde, wenn sie nicht ordentlicher die Wirtschaft führe als Gattin, und schickte sie endlich mit den Worten: Mile! Marsch in's Bett, zur Ruhe in ihre einsame Kammer.

3.

Als Herr Rüffer in das untere Gemach seines Hauses, wo die Frauen sich befanden, eintrat, kam ihm sogleich seine Gattin entgegen, ihm hastig einige Worte zuflüsternd zu Gunsten des ungebetenen Gastes, der sich schüchtern hinter dem Ofen, dessen dunkler Schatten ihn dem suchenden Blicke des Hausherrn entzog, hervorkam, und langsam mit gesenktem Haupt dem Bürgermeister, dessen Blicke forschend auf ihm ruhten, sich nahte.

Was ist Euer Begehr? fragte kurz Herr Rüffer, da er in das wildfremde Gesicht des nächtlichen Besuchers geschaut hatte.

Gewährt mir nur einige Augenblicke Gehör unter vier Augen, bat der finstre Gast.

Begebt Euch zur Ruhe, meine Lieben, sprach zu den Frauen gewendet der Hausherr, und alsbald erhoben sich seine Mutter und Kunigunde, ihr Schlafgemach aufzusuchen.

Ich bleibe,lieber Mann, flüsterte leise Frau Elsbeth ihrem Ehewirte zu, der, freundlich gewährend, ihr zunickte, und sich dann nach seinem Kabinette begab, mit einem Winke den Fremden bedeutend, ihm zu folgen.

Der Bürgermeister schritt hastig mit der Lampe voran durch einen schmalen Gang zu seinem von dem Familiengemache entlegenen Arbeitszimmer, dessen Türe er öffnete, und gleich wieder, nachdem der Fremde eingetreten, von innen abschloss. Er stellte die Ampel auf den Schreibtisch und drehte sich um nach seinem Gast, dessen Blicke in dem von dem flackernden Lichte der Lampe erhellten Gemache umherschweifte, und von den an der Wand aufgehängten Kriegswaffen herabglitten auf des hochseligen Gottesmannes D. Martin Luthers Konterfei, das nach Lukas Kranach in Oel gemalt im schön geschnitzten Rahmen über dem Schreibtische des Bürgermeisters hing, mit einem Kränzlein von Immortellen geschmückt, und darüber auf einem Täfelchen die Inschrift zu lesen: gest. 18. Febr. an: dom: 1546

Wir sind allein, sprach der Bürgermeister zu dem Fremden, was wünscht Ihr?

Eure Verzeihung vorerst, flehte dieser zu seinen Füßen stürzend.

Wie könntet Ihr, den ich nicht kenne, erwiderte einen Schritt zurückweichend doch ruhig - Herr Rüffer, - mich beleidigt haben?

Wie Herrmann? sprach mit ausfallender Stimme der Unbekannte, Du hat nicht erraten, wer Deine Knie umklammert? - und den verbergenden Mantel, den langen Bart und die falschen Haare von sich werfend, fuhr er gepresst fort: kennst Du auch so mich nicht?

Kaum hatte nun der Bürgermeister in das totenbleiche Antlitz des Knieenden geschaut, da wich er erschrocken, als hätte er ein gespenst erblickt, vor ihm zurück, und schrie fast überlaut: Um Gott! Herr Wolfgang! was sucht Ihr, der Geächtete, in meinem Hause?

Deine milde Hilfe, Herrmann, sprach mit unaussprechlicher Wehmut der Fremde, der auf den Knien zum Bürgermeister rutschte, und flehend seine Hand ergriff, die er mit Tränen betaute.

Erhebt Euch, Herr Weyrach, entgegnete jener, ihn mit dem kräftigen Arm in die Höhe ziehend, - und erklärt Euch deutlicher; - hiermit bedeutete er ihn, auf einem Sessel Platz zu nehmen, indes er selbst auf seinem Armstuhle sich niederließ, an dessen Lehne er zurücksank, die erhitzte Stirn in seine Rechte pressend, und so den Worten seines Gastes lauschend.

Seit ich vor sechs Jahren - die Vaterstadt verließ, um mich in Ingolstadt anzusiedeln, hat mich das Unglück fast unerlässlich verfolgt. Zuerst starb mir mein treues Weib, indem es mir Zwillinge gebar. Der Schmerz drückte mich eine Zeit lang nieder, doch endlich raffte ich mich auf aus meinem Elende, weil ich sah, dass treulose Dienstboten min Vermögen veruntreuten, ich sandte meine Kinder hierher zu meiner siechen Mutter, die ich noch unter der Pflege meiner jüngeren Schwester glaubte, und warf mich auf's Neue in den Strudel der Geschäfte.


In kurzer Zeit hatte ich durch glückliche Spekulation ein schönes Vermögen erworben, da plötzlich rückten die Fürsten vom schmalkaldischen Bunde auf Ingolstadt los. Ich verließ die Stadt mit Hab und Gut, und übergab frevelhaft mein ganzes Vermögen dem Kriegsglück. Ich führte in das Lager des Religionsverwandten Landgrafen von Hessen Waffen, Munition und Kleidungsstücke, und hatte das Unglück mit meiner ganzen Ladung in die Hände der Kaiserlichen zu fallen. Ich entfloh mit Gefahr des Lebens aus der Haft, bald darauf, da das Unglück mit unerhörter Strenge über die protestantischen Fürsten hereinbrach, wurde auch über mich die Reichs- und Aberacht verhängt. Trostlos, ein Bettler, irrte ich lange im Norden Deutschlands umher; endlich trieb mich eine unwiderstehliche Sehnsucht her nach Franken nach der Vaterstadt, wo meine Kinder sich befinden; doch noch hab ich nicht den Leidenskelch bis auf die Hefe geleert. Eine Stunde von hier, saß ich vermummt wie vorhin in der Schenke zu Mainberg und wärmte mich ein wenig am Ofen, wo mir die mitleidige Wirtin ein Plätzchen eingeräumt hatte. Plötzlich sprang die Türe auf, und herein trat mit herrischem Wesen ein spanischer Offizier, gefolgt von vielen Soldaten.

Von des Kaisers Leuten? fragte erschrocken der Bürgermeister.

Bejahend nickte Weyrach. Gott steh uns bei, schon naht der Feind, sprach ergeben der Hausherr, dem Gaste winkend, fortzufahren. Ein Blick zeigte mir, erzählte jener weiter, dass mein ärgster Feind, den einmal mein Stahl getroffen, und der mich lang gesucht hatte, nun mit wildem Trotze vor mir stand. Ich suchte mich fortzuschleichen, aber er hatte mich bemerkt, und schritt auf mich zu; doch ich ließ ihm nicht Zeit mich zu erreichen, und sprang durch ein offen stehendes Fenster hinaus auf die Straße. Ein Fluch, den er mir nachsandte, so wie die Eile mit der man mich verfolgte, zeigten mir deutlich, dass er mich erkannt habe. Mit angestrengter Kraft lief ich gegen die Stadt zu; die Finsternis beschützte meine Flucht, und bald mussten meine Verfolger abstehn von ihrem Vorhaben, da plötzlich, als ich fast mein Ziel erreicht hatte, hörte ich abermals Pferdegetrappel hinter mir, ich lief, was ich konnte, doch ich stolperte über einen Stein, den ich in der Dunkelheit und vor Angst nicht gesehn, und fiel zur Erde, und lag so einige Minuten, mein Ende ruhig von der spanischen Picke erwartend. Da bemerkte ich, dass es Fremde waren, die harmlos des Wegs geritten kamen. Ich diente ihnen als Wegweiser, und schlüpfte dann durch die uns wohlbekannte Fischerpforte herein in die Stadt.

Am Ebracher Hofe stürzte ich fast zusammen vor Müdigkeit, dass ich mich halten musste an dem steinernen Löwen, den der Wildgraf dort hatte aushauen lassen, doch ich raffte mich zusammen und eilte nach dem elterlichen Hause auf dem Roßmarkte, wo ich die Mutter, und die jüngere Schwester zu finden hoffte. Aber alles war schwarz und dunkel, eine Magd, die mich nicht kannte, öffnete die Haustüre, und berichtete mir, dass die Mutter schon längst tot, auch meine Schwester schon seit Monden begraben sei. Wie ein Blitzschlag traf mich die Nachricht und vernichtet sank ich zu Boden. Die Sorge für mein Leben riss mich auf's neue empor, und ich eilte hierher, in Dein Haus, Herrmann! vertrauend auf Deine Großmut.

Ihr wisst Euch verloren, versetzte bitter und misstrauisch der Bürgermeister, und denkt vielleicht auch mich, den Ihr hasst, mit in Euer Verderben zu ziehn, demm wer einen Geächteten verbirgt, verfällt selbst in des Reiches Acht.

Niedergebeugt durch die grässliche Kälte des Hausherrn, stürzte Weyrach abermals zu seinen Füßen hin und die Hände ringend, rief er aus: Herrmann! Herrmann! hast Du denn allen Glauben an die Menschheit verloren, soll ich verzweifeln an Deinem sonst so milden Herzen, ich - ich Dich hassen, der Du mit väterlicher Güte für meine verlassenen Kinder sorgst. Ja, ich hab' es heute erfahren. Musste nicht bei dieser Kunde jeder Groll verschwinden, und hätt' ich ihn Jahrzehnte in meinem Busen genährt. Herrmann! willst Du weniger tun als Dein himmlisches Weib, das mich den Unbekannten tröstete, willst Du mich hinausstoßen in's Elend, meinen Kindern den Vater rauben, weil dieser der Bruder des Weibes ist, das Du geliebt?

Erschüttert stand Herr Rüffer, die Hände auf das Gesicht gepresst, und es war als ob er einen Seufzer unterdrückte, plötzlich reichte er die Rechte dem Unglücklichen, der von innerem Seelenschmerz verzehrt, leise wimmerte, und mit dem Ausruf: "Bruder Wolfgang! sei willkommen!" stürzte er an sein Herz. Sekundenlang standen die beiden Männer Brust an Brust, und hielten sich innig umschlossen, so eine schöne Szene des Wiedersehens und der Versöhnung feiernd.

Vergib, Weyrach! sprach Rüffer, als er sich von der ergreifenden Gemütsbewegung erholt hatte, zu dem vertrauenden Freunde, dessen Hand er herzlich schüttelte. Vergib, dass ich, dessen Schwelle kein Armer unbeschenkt verlässt, für Dich unerbittlich schien, aber auch ich bin Vater, und, setzte er leise hinzu, als fürchte er, des Freundes Gemüt zu verletzen, ein glücklicher Gatte, und für ihr Wohl macht mich die geringste Ahnung von Gefahr misstrauisch; doch jetzt, da ich Deinen redlichen Sinn erkannt, kannst Du auf mich zählen, und trotz der Gefahr, die mir in Deiner Nähe droht, will ich Dich schirmen und verbergen.

Ein guter Geist hieß mich auf Deinen Schutz bauen, erwiderte freundlich getröstet Weyrach, nur der Gedanke an Dein Weib machte mich zagen, denn ich wähnte nicht, in ihr, der ich Feind war, ohne sie zu kennen, nur weil sie Deine Gattin war, einen Engel zu entdecken.

Sie weiß von nichts, war des Bürgermeisters Antwort, und wüsste sie's, sie hätte Dir längst verziehen; doch wo ist jetzt Gertrude?

Dort oben, sprach Weyrach, den Blick gegen Himmel wendend, wenn nicht ihre Verirrungen ihr den Eingang dorthin verrammelt haben. O Herrmann! jetzt seh ich's ein, Du hast wohl getan, dass Du, dem Willen Deiner verständigen Mutter gehorchend, die stille Jungfrau ehelichtest, die sie Dir erzogen, und die stolze üppig prangende Schönheit meiner Schwester verschmähtest, denn eben diese Schönheit stürzte die Leichtsinnige in's Verderben. In Ingolstadt, wohin sie mir folgte, machte sie die Bekanntschaft eines spanischen Hauptmanns, der ihrer Schwäche schmeichelte, ihre Eitelkeit und Putzsucht benutzte, und sie hinter meinem Rücken verführte, zu spät entdeckte ich, was geschehen, ich verstieß sie, und lange erfuhr ich nichts von ihr und dem Lüstlinge, dessen Opfer sie geworden.

Der Zufall ließ mich sie ein Jahr später, da ich schon geächtet war, in der Elenden Herberge vor Landshut wiederfinden. Auf einem Schutte Stroh lag die Verworfne im Sterben und ein Blick auf ihre gerundete Gestalt ließ mich den Zustand erraten, in dem sie sich befand.

Ächzend erhob sie sich ein wenig vom Lager, da sie mich erblickte, und weil sonst niemand in der Stube war, winkte sie mir, näher zu treten. Sie erkannte mich nicht, das zeigte mir ihre Anrede.

Um der Wunden Christi Willen, bat sie, eilt, fremder Mann, zu dem spanischen Hauptmann Don Sancho Tellez, der in Landshut liegt, und bittet ihn, wenn ihm das Heil seiner Seele lieb sei, dass er herauskomme zu einer Sterbenden, die ihren Geist nicht aufgeben könne, bevor sie ihn noch einmal gesehen.

Ihren Auftrag zu vollziehen, rannte ich, sorgfältig vermummt, in die Stadt, und es gelang mir, den Hauptmann, ihren Verführer, hinauszulocken an das ärmliche Sterbelager meiner Schwester. Zornig drehte er sich, da er ihrer ansichtig wurde, nach mir um, der ihm, dem elenden Lüstling, ein anderes Abenteuer vorgespiegelt hatte, doch ich war entwichen; durch ein kleines Fenster, das auf den Hof hinausging, beobachtete ich alles.

Der Spanier trat näher zu Gertruden, die einer Toten ähnlich auf das Stroh zurückgesunken war, und die Hände ihrem Verderber flehentlich entgegenstreckte.

Was willst Du? fuhr er sie barsch an. Sie antwortete so leise, dass ich sie nicht verstehen konnte, indem sie die zur Bitte gefalteten Hände auf ihren hochschwangeren Leib legte.

Ha!ha! lachte der Verworfne ihr zu, ich soll mich wohl über Dein Hurenkind erbarmen, weil Du mich glauben machen willst, ich sei sein Vater?

Ich sah noch wie die Schwester die Hände gleichsam zum Schwur gen Himmel erhob, und nahte voll Unwillen, indem meine Faust nach dem Dolche zuckte, den ich am Gürtel trug, der Türe des Gemachs. Auf der Schwelle blieb' ich stehn, und vernahm, wie der Lüstling mit rohem Gemüte sie höhnend, und keinen Rächer in der Nähe ahnend, ihr zurief: und kannst Du Deines Wurms genesen, so bringe ich ihn Deinem Bruder, dem stolzen Ketzer zu Ingolstadt.

Fluch Dir und meinem Kinde! murmelte im Todeskampf sich wälzend, Gertrude, deren Auge im Verscheiden brach. Da hob der Unmensch, fuhr Weyrach schaudernd fort, den Fuß, und trat dem Mädchen, dessen Blüte er geknickt, auf den zarten Leib, den er entweiht hatte, so zugleich der Mutter Leben vernichtend, und das des Kindes, so er gezeugt.

Nimmer konnt' ich mich halten, und vor Wut schäumend ob des doppelten Mordes, riss ich den Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn dem Ungeheuer, das sich zum Gehen wandte, mit solcher Gewalt in die Brust, dass der Verworfene rücklings auf den Leichnam der Schwester stürzte, den er mit seinem Blute überströmte. Doch ich rannte unverfolgt hinaus in die Welt, wo ich keine Ruhe fand, und da ich sie hier zu suchen in die Heimat eile, tritt mir der Verruchte, den ich in der Hölle glaubte, wieder trotzig und rachebrütend entgegen.

Um Gottes Willen, Wolfgang, ist's der Anführer der Spanier, welchen Du zu Mainberg sah'st? fragte ängstlich der Bürgermeister.

Er ist's, stöhnte Wolfgang, zerknirscht ob der Erinnerung an jene schaudervolle Begebenheit.

So möge Dich Gott schirmen, sprach des Freundes Rechte ergreifend, Herr Rüffer, denn ich ahne es, dieser Spanier ist von dem Kaiser und seinenGranvella's gesandt, das Interim und aufzudringen mit Gewalt und unsre friedliche Stadt zu füllen mit den Greueltaten jener zügelloser Söldlinge.


Da klopfte es leise an der Türe des Kabinettes, Wolfgang fuhr zusammen als stünde der Feind schon außen, doch der Bürgermeister beruhigte ihn mit der Versicherung, es werde wohl sein Weib sein, das gepeinigt durch das lange Ausbleiben des Gatten mit dem unheimlichen Fremden, sich gergewagt an die verschlossene Türe. Seinem Gaste noch die Worte zuraunend: gedenke der Vergangenheit mit keinem Worte in einer Frauen Gegenwart, ich will ihren Frieden nicht gestört wissen, nahte er dem Eingang, noch dem Freunde zuwinkend, sich erst in den Schatten zu bergen. Vorsichtig fragte er, wer außen sei, und erst.als die sanfte Stimme seiner Gattin erklang, öffnete er schnell, doch ohne Geräusch die Türe.

Hastig trat Elsbeth ein, und wandte sich ängstlich an den Gatten, mit der Frage: Was bleibst Du so lange, mein Herrmann! und lässt mich so allein? Wo ist der Fremde?

Tritt näher, Wolfgang, sprach Rüffer, und Weyrachs Hand ergreifend, führte er ihn zu seinem Weibe mit den Worten: Kein Fremder, Elsbeth, ein werter Freund ist's, der heute Schutz sucht in meinem Hause gegen einen Spanier, der sein Feind ist, und mit seinen Häschern in unsre Stadt kommen wird; doch das Ganze bleibe ein Geheimnis für Jedermann.

Mein Herr und Meister weiß, dass ich schweigen kann, erwiderte demütig seine Ehefrau.

Die Spanier werden, rücken sie morgen in die Stadt, in jedes Bürgers Wohnung sich einnisten, bemerkte der Bürgermeister und dann wahrscheinlich alle meine Zimmer in Beschlag nehmen, deshalb bleibt mir nur ein Gemach übrig um Dich zu bergen; hier, sprach er, bist Du vor Jedermann's Auge versteckt, und nur Gott und der Mitwissende können Dich in dieser Verborgenheit auffinden.

Bei diesen Worten schritt er mit der Ampel auf einen Glasschrank zu, welcher in der Ecke stand, wohin Weyrauchs Auge sich noch nicht verirrt hatte. Der Lampe flackerndes Licht erhellte hier ein sonderbares Bild, denn hinter dem Fenster des Glasschrankes war ein schneeweißes Totengerippe sichtbar, dessen hohler Schädel grässlich dem Neugierigen entgegengrinste.

Dieser, sprach der Hausherr auf den Knochenmann deutend, war bei seinen Lebzeiten mein bester Freund, und erweist mir noch im Tode den Dienst, mein Geheimnis und einen werten Freund zu schützen; denn wer wird wohl hinter diesem Gerippe den Eingang zu Wolfgangs Schlupfwinkel suchen. Er drückte an einer Feder, und die hintere Wand des Doppelschranks drehte sich wie eine Türe auf ihren Angeln, und ließ, das Skelett im Halbkreise vorwärts schiebend, das Innere eines heimlichen, ziemlich geräumigen Gemaches erblicken.

Rüffer war im Begriff durch den Schrank hindurch zu dem Eingang des verborgenen Kabinettes zu schreiten, da bemerkte er wie Weyrich vielleicht aus Scheu gegen das Totengerippe, zu zaudern schien.

Fürchte nichts, Wolfgang! sprach er zu dem unentschlossen dastehenden Freunde, das Skelett mit dem Finger bezeichnend; der war im Leben harmlos und ohne Falsch und wird auch im Tode Dir nichts zu Leide tun. Er studierte mit mir zugleich die Arzneikunde, und war ein ehrlicher, braver Junge, der mir jeden Wunsch an den Augen absah und wo möglich erfüllte. Ich liebte ihn wie einen Bruder, obgleich ich wusste, dass er ein Bastard sei.Eines Tags kam er verstört heim; ein frecher Bube aus adeligem Geschlecht hatte seine Ehre angetastet, und höhnend die Herausforderung des Beleidigten abgeschlagen, weil dieser von unehelicher Geburt war. Auf's Äußerste gereizt, hatte Rudolph, so hieß mein Freund, den von einer Schwelgerei Heimkehrenden abgepasst, und da er nochmals den Zweikampf mit dem bittersten Spotte verweigerte, ihn erschlagen. Dies alles erfuhr ich durch einen Zettel, der morgens auf meinem Bette lag, denn der Freund hatte in der Nacht durch einen Dolchstich sein Leben geendet. Einem gegenseitigen Gelübde gemäß, nahm ich den Leichnam in Beschlag, was leicht geschehen konnte, da niemad um den Bastard sich kümmerte, und die Obrigkleit den toten Körper mir dem Arzte ohne Skrupel überließ; und nun prangt sein Skelett in meinem Studierzimmer zu seinem Gedächtnis.

Durch diesen Bericht gleichsam beruhigt, folgte nun Weyrach seinem Führer, durch die schmale Türe und einen Augenblick später stand er mitten in einem kleinen Gemach, wo alte Waffen neben medizinischen und physikalischen Instrumenten, einer umgeworfenen Erdkugel, einem Totenkopfe, Winkelmaß und Zeichenapparat zerstreut, teils auf dem Boden, teils auf dem in der Mitte stehenden Tische lagen; in der Ecke war die Fahne der Stadt mit dem aufwärts schwebenden Adler auf blauem Grunde prangend, an die Wand angelehnt.

Hier kannst Du unbesorgt ruhen bis morgen, sprach der Bürgermeister zu dem Freunde; ich hole Dir eine Decke, dass Du weicher liegest und mein Mantel kann Dir zum Kopfkissen dienen. Ehe noch Weyrach antworten konnte, hatte er sich entfernt, doch bald kehrte er mit einer warmen Decke und einer langen Wildschur zurück, beide auf den Boden ausbreitend.

Ich lasse Dir das Licht, sprach Abschied nehmend Herr Rüffer, doch gehe vorsichtig damit um, dass meinem Hause kein Schaden geschieht. Auf Morgen ein Mehreres! für Speise und Trank sei unbesorgt, mein Weib schafft Dir alles: jetzt Gute Nacht! schlummre süß und ruhig.

Gottes Segen mit Dir, biedrer edler Freund, mag Euch der Himmel schützen, edle Gattin meines Retters! rief Weyrach der ihres Gatten im andern Zimmer harrenden Elsbeth zu.

Der Bürgermeister entfernte sich seinem Freunde die Hand drückend, zog die verborgene Türe zu, richtete das Totengerippe, schloss den Glasschrank und tappte nun durch die Finsternis, sein Weib im Arme, nach dem Wohnzimmer, wo eine Ampel brannte, durch den wohlbekannten Gang zurück und legte sich bald darauf an der holden Gattin Seite zur Ruhe, mit dem frohen Bewusstsein, auch heute eine edle Tat vollbracht zu haben; und er hätte daher mit reinem Gewissen, im Gegensatz zu jenem römischen Kaiser ausrufen können: auch dieser Tag ist für mich nicht verloren.

4.

Kaum hatte der Hahn mit dreimaligem Ruf den kommenden Tag wach gekräht, da erschien auch schon der alte Puttenberg, dein ein Türkensäbel einst gar gewaltig verstümmelt hatte, und der nun als Wächter des gegen Osten gelegenen Mühltores der Stadt Gnadenbrot aß, an der Pforte des Rüfferschen Hauses, und setzte rasch und mit starkem Geräusch den als Klopfer dienenden blanken messingenen Ring im Löwenmaule in Bewegung. Er hinkte bald darauf, von Velten geführt, in das Wohnzimmer, wo der Bürgermeister einige Sekunden später erschien, und die gefürchtete Kunde von dem Herannahen der Kaiserlichen aus dem Munde des treuen Torwächters vernahm.

Es sind zwei Fahnen Reiter, berichtete der Invalide, und bei zweihundert spanische Büchsenschützen, die bei der Altstadt vorbei sich längs dem Walle vom Tore bis zur Almosenmühle aufgestellt haben, und nun im Namen des Kaisers Einlass begehren; soll ich das Tor öffnen, und das Gitter aufziehen, gestrenger Herr Bürgermeister? oder lieber alles verrammeln, die Feldschlangen richten, die spanischen Reiter aufstellen und die Lärmtrommel rühren lassen? fragte mit neu erwachter Kampfeslust der alte Soldat.

Töricht wäre es der Menge dieser streitgewohnten, viel erprobten Krieger unsre geringe schlechtbewaffnete Mannschaft entgegenstellen zu wollen, erwiderte Herr Rüffer, wir müssten nach Verlauf von wenigen Tagen, bei unserm Mangel an Kriegsbedürfnissen obendrein, uns dennoch ergeben und fielen dann in die Gewalt eines rohen Siegers, der gegen die Besiegten kein Gesetz der Menschlichkeit zu halten gewohnt ist, drum lasst uns lieber als Gäste empfangen und von Gottes Schutz das Beste erwarten.

Hätte mich lieber auf den da, meinte der brave Torwächter, an seinen halbverrosteten Sarras klopfend, als auf den Herrgott verlassen. Doch wenn Ihr befehlt, gestrenger Herr Bürgermeister, dass ich den Spaniern das Tor öffne, so muss ich als Knecht gehorsamen, ob ich gleich die wilden Burchen anders begrüßet hätte, das weiß der Himmel.

Er wollte sich eben entfernen, den Befehl des Oberhauptes der Stadt zu vollziehen, da erklang mit ängstlicher Hast der Klopfer, und hereinstürzte in das Gemach, wo die beiden Männer sich befanden, des Torwächters sechzehnjährige Tochter.

Was gibt's, Brigitte? fragte bestürzt der Invalide seine Tochter, die sich eben sittig vor dem Bürgermeister verneigte, dass Du außer Atem gelaufen kommst, und die sieche Mutter verlässest, wo ich kaum fort bin?

Ach, Vater! entgegnete halblaut und verlegen durch die Gegenwart des gebietenden Herrn der Stadt, in dem sie die Obrigkeit ihres Erzeugers zu erblicken gewohnt war, die niedliche Brigitte, schon haben sie draußen auf dem Kiliansberg zwei Feldschlangen gegen die Stadt gerichtet; die fremden Soldaten schreien und lärmen gar ungestüm vor dem Tore, und zielen drohend mit ihren Büchsen nach den Fenstern unsrer Wohnung auf dem Mühlturme und einer nachte sich sogar bereit, über das äußere Fallgitter zu klettern, deshalb lief ich schnell.....

Potz Heiden und Türkenblut! ich will dem Kerl das Licht ausblasen, meine Büchse ist scharf geladen, fuhr wild er Torwächter auf, und wandte sich hitzig zum Fortgehen.

Keine Übereilung, lieber Puttenberg, sprach ruhig und bestimmt der Bürgermeister, bedenkt dass wir die Kaiserlichen nicht als Feinde empfangen dürfen, wollen wir nicht frevelhaft unser Schicksal verschlimmern, jetzt geht, und öffnet den ungestümen Gästen die Stadt.

Sich stumm vor seinem Obern verbeugend, indes vor Ingrimm ob dessen Mangel an Kampfeslust seine Zähne laut knirschten, entfernte sich hinkend der Invalide, und als er draußen war an der Türe des Hauses, da brummte er in den Bart: der Herr Bürgermeister lässt den Wolf in den Schafstall, als ob das schleichende Tier ein ungefressenes Lamm sehen könnte, schon gut, soll mir aber so ein spanischer Schuft zu nahe treten, oder gar meinen Herd zerstören wollen, dessen Gurgel will ich schon finden, und müsst ich gleich zu Grunde gehen, für die Wittwen und Waisen wird der dort oben sorgen.

Brigitte war, da sie dem Vater folgen wollte, von Herrn Rüffers Hand gehalten, im Gemache geblieben, und harrte, errötend die Augen niederschlagend, der Anrede des Bürgermeisters.

Höre, liebes Kind, begann dieser mit freundlichem Tone, bist Du nicht meiner Mutter Patchen?

Ja gestrenger Herr! antwortete das Mädchen sich anmutig verneigend, Frau Sabine hob mich aus der Taufe.

Nun, Du weißt, sprach Herr Rüffer weiter, dass ich Deinem vater gewogen bin, drum will ich auch jetzt, wo vielleicht eine böse Zeit über unsere Stadt hereinbricht, Eurer besonders gedenken, deshalb komme Du, sobald Du Dich unter dem väterlichen Dache nimmer sicher glaubst, was wohl mit unsern, jedem schönen Mädchen gefährlichen Gästen sich ereignen könnte, in mein Haus, ich werde Dir unter meinem und meiner Frau Schutz eine ehrliche Zuflucht gewähren; Du sparst dann Deinem oft in jugendlicher Hitze aufbrausenden Vater, der eher den Tod als eine Beschimpfung dulden würde, manche Unannehmlichkeit, befreit ihn sogar aus augenscheinlicher Gefahr.So mein Kind, gehe jetzt, ich will indessen meine treue Ehewirtin auf diesen Fall vorbereiten, und Du wirst dann in ihr eine zweite Mutter finden.

Verlegen einige heiße Dankesworte stammelnd, eilte nun Brigitte dem Vater nach, den sie unter dem Tore antraf, wie er soeben die unter seinen Befehlen stehende Mannschaft in Reihe und Glied stellte.

Was willst Du, Mädel, fuhr sie der, ganz wieder in seinem Element lebende Invalide an, pack Dich 'nauf zur Mutter, dort ist Dein Platz, nicht hier unten, wo bald das spanische Gesindel haust.

Vater! flehte sich an seinen Arm hängend die Tochter, ich wollte Ihn nur gebeten haben, dass Er nicht tollkühn der Gewalt trotzt, - bedenk' Er, dass unser Leben an dem Seinen hängt!

Ich bin ja ruhig! sprach er, an sich haltend und dem schönen Mädchen die Wange streichelnd; doch jetzt spute Dich, Brigitte, dass Du in den Turm hinaufkommst, und sei nicht vorwitzig! - und indes seine Tochter die Treppen der Wohnung hinaufeilte, befahl er, das Fallgitter aufzuziehen.

Als nun das Fallgitter in die Höhe gezogen war, und das Tor auf seinen Angeln drehend, sich aufschloss, bemerkte die Torwache mit Schrecken, wie die spanischen Soldaten schon den Schlagbaum von innen geöffnet hatten, und nun, ihren Anführer an der Spitze, eben bereit standen einen Angriff auf das Tor zu machen, um dasselbe zu sprengen.

Bei San Jago de Compostella! schrie der spanische Hauptmann dem vor Zorn bebenden Invaliden zu, es war höchste Zeit, uns Eure Stadt zu öffnen - eine Viertelstunde später, und wir drangen mit Gewalt ein, plünderten das Nest, und ließen alle waffenfähigen Männer über die Klinge springen.

Käme es auf mich an, entgegnete auffahrend der Torwächter, so wäret Ihr...

Ha! also der Bürgermeister! rief, den Invaliden missverstehend und in seiner Rede unterbrechend der Hauptmann zornig aus, und rannte dann seinen stürmisch durch das Tor drängenden Soldaten voraus, sich sogleich in der nächsten Straße nach des Bürgermeisters Wohnung erkundigend, wo er sein Quartier zu nehmen beschlossen hatte.

Schon waren zwei Fahnen Reiter durch die Mühlgasse hereingerückt, und noch immer schien das Tor neue Unterdrücker in die Stadt speien zu wollen, bei zweihundert spanische mit Hackenbüchsen bewaffnete Soldaten zogen hintendrein in langer Reihe und stellten sich auf dem anstoßenden Marktplatze auf, ihnen folgte ein Häuflein Constabler, die in ihrer Mitte zwei Feldschlangen führten.

Staunend blickten die, durch den außerordentlichen Lärm erwachten Bürger auf die schon vor Tagesanbruch belebten Straßen, und wussten nicht, was sie von diesem Einrücken der fremden Krieger halten sollten.

Auf dem Markte standen die Kaiserlichen in Schlachtordnung, die Feldschlangen waren gegen die beiden Hauptstraßen gerichtet, und die Reiter saßen mit gezogenen Schwertern zu Pferd und schauten trotzig auf die Menge herab, die sich nach und nach auf dem Platze sammelte. Allmählich wurden alle Ausgänge besetzt durch die Neugierigen, welche aus allen Seitengässchen sich herbeidrängten, denn wie ein Lauffeuer hatte die Nachricht von dem Einrücken der Kaiserlichen sich in der Stadt verbreitet, und die Langschläfer aus den Betten getrieben. Ein Jeder wollte die spanischen Soldaten beschauen, denn Militär war überhaupt eine seltene Erscheinung in der friedlichen Stadt, und seit vor drei Jahren des Landgrafen von Hessen rüstiges Zeug und Geschütz, als er gen Ingolstadt zog, durch Schweinfurt passiert, und dessen Fußgänger unweit Rheinfeld über den Main gegangen, war in der ganzen Gegend kein Kriegshaufen gesehen worden.

Auf der Anhöhe des Marktes gegen der Hauptkirche St. Johann zu, wo die Reiter aufgestellt waren, hatte sich besonders eine Gruppe gebildet, wo heftig gesprochen wurde und hauptsächlich keifende Weiberstimmen sich hören ließen.

Schaut ihn nur recht an, schrie eine alte Frau, von dem Amte ihres Mannes die Beerhüterin genannt, auf den bärtigen Rottmeister, der bei den Reitern hielt, deutend, laut genug auch von dem Bezeichneten verstanden zu werden, wenn das nicht der Franz Senk, des Kirchners Pflegesohn ist, lass ich mich hängen.

Was? der Papist? eiferte Frau Sibylle, des Schullehrers Ehewirtin.

Derselbe, antwortete jene.

Der alberne Geselle, fragte ein Weber, - den der verstorbene Kirchner auferzogen, dem er beim Glockenläuten und Kirchendienste, als noch das Papsttum in unsrer Stadt regierte, zur Hand ging, der dann Chorbube geworden, und später sogar die Kilianskirche sich anmaßte, und dort, obgleich er weder lesen noch schreiben konnte, Messen hielt und andern katholischen Unfug trieb, bis er, von Magistrats wegen, zu unserm Weichbild hinausgestäupt worden?

Derselbe, derselbe, behauptete die Beerhüterin mit einer Miene, die deutlich ihren Triumph zeigte darüber, dass ihr Scharfblick zuerst den längst verschollenen, schmucken Soldaten, des dichten Bartes, der ihm um Kinn und Wange hing, ungeachtet wieder erkannt hatte.

Der Herr Soldat ist aber von Haupthaar und Bart ganz schwarzbraun, meinte kopfschüttelnd ein Bürstenbinder, und der Senk war ja rot wie....

Eure Nase, Nachbar Philipp, witzelte, auf die rubinfarbene Zierde des Bürstenbindergesichts anspielend, Frau Sibylle.

War rotköpfig wie Judas Ischariot, ergänzte Meister Philipp, als hätt' er die spitzfindige Rede der schulmeisterlichen Ehehälfte überhört.

Redet er doch wieder einmal, schalt die alte Beerhüterin, als hätte Er eitel Häckerling in seinem Gehirn, Meister Bürstenbinder. Weiß Er denn nicht, dass die Zigeuner die Kunst verstehen, Haut und Haar nach Belieben zu färben, und kann es denn der Nichtstauger nicht bei so einer Hexenmutter gelernt haben?

Ei, ließ sich eine andere weibliche Stimme aus dem Haufen, den Erkannten verteidigend, vernehmen, der Franz war sein Lebtag ein frommer Junge und rechtgläubiger Christ, und wird sich nicht mit so einem Gesindel eingelassen haben.

Kaum hatte die Beerhüterin den neuen Einwurf vernommen, da drehte sie sich hitzig nach der Seite hin, von welcher die Verteidigungsrede erschallte, und da sie in der Sprecherin die Pförtnerin des jetzt verödeten Karmeliterklosters erkannte, rief sie mit gellender Stimme aus:

Sieh da, die schöne Veronika, die Pfaffenköchin lässt sich auch wieder einmal hören, was sprichst denn Du von frommen und rechtgläubigen Christen, Du liederliches Kebsweib (Anmerkung:  Ein Kebsweib war im Mittelalter eine (legale) Nebenfrau, aus kirchlicher Sicht aber dennoch eine Konkubine) des katholischen Baalsknechtes?

Der hochwürdige D: Feigenbaum, entgegnete, ihrem verstorbenen Gebieter das Wort redend Veronika, war ein gottesfürchtiger Herr.

Ja, ja, das Waisenhaus beweist's, schaltete die Alte sich ein, und manch' Würmlein ist im Spital von seinen Betteln geheckt worden.

Hat mir nur Gutes getan, und mich reichlich beschenkt, fuhr eifrig Doktor Feigenbaums Verteidigerin fort.

Glaub's, glaub's, Karmeliterin! lachte nun wieder die Alte, er hat auch Deinen Dummkopf von Mann, den ungläubigen Thomas, mit einer schönen Märtyrerkrone bedacht, die einem stattlichen Hirschgeweih wie ein Tropfen Wassers dem anderen gleicht, doch dem geschieht's recht, denn der ist auch so ein heimlicher Papist.

Wieherndes Gelächter erhob sich nun aus dem Haufen der Umgebenden, und verwundert starrte Veronika's Ehemann, der eben herbeigelaufen kam, in die lachenden Gesichter der ihn anglotzende Menge.

Schaut nur, flüsterte ein Witzbold einem Andern zu, wie sich das Geweih astig ausstreckt auf dem Schädel des armen Thomas! - und in der Tat war der Kopf des Bezeichneten in dem Augenblick gar seltsam anzuschauen. Der Pförtner schien in Eile das Karmeliterkloster verlassen und seine Mütze vergessen zu haben, so dass sich sein Haupthaar, welches vom Nebel ein wenig genetzt worden, bei dem starken Winde, der vom Kirchplatz herblies, kerzengerade in die Höhe stand, und auf der Stirne zwei dünne Hörner bildete.

Was gibt's? fragte der Geneckte, und schaute sich um, doch ehe er eine Antwort erhielt, fuhr er, den Blick auf den Rottmeister, der eben mit trotzigen Blicken vor dem Haufen vorbeiritt, gerichtet, und mit dem Ausruf: Jesus Maria! einen Schritt zurück.

Hört Ihr den Katholiken! sagten einige aus der Menge. Was fällt dem Thomas ein? fragten andere. Der Pförtner wollte sein Weib plötzlich mit sich fortziehen, doch schnell packten ihn einige kräftige Arme um den Leib und am Schurzfell, das ihn als Schuhflicker bezeichnete, und von allen Seiten wurde er mit Fragen bestürmt.

Da geblieben, Karmeliter! schrie ein stämmiger Metzgerbursche, wir wollen wisssen, was Du gesehn, das Dich so erschreckt.

Macht nur keinen Lärm, bat der heftig Zitternde, ich will Euch ja alles entdecken, und sich gleichsam hinter der breiten Schulter des Metzgers vor den durchbohrenden Blicken des Rottmeisters verbergend begann er:

Ihr wisst's ja, liebe Nachbarn, dass die Stadt Münster meine Heimat ist, und werdet Euch wohl noch erinnern, wie vor dreizehn Jahren dort die Wiedertäufer und der so genannte Schneiderkönig, Jan von Leiden nebst dem Stadtvogte und Scharfrichter Berend Knipperdolling ein grausames Regiment führten. Ich hatte dazumalen ein schönes Schwesterlein, Elisa genannt, das erschaute nun eines Tages der wollüstige Jan, und zwang es sein Kebsweib zu werden nach einem neugebacknen Gesetze, das jedem erlaubte so viel Weiber zu nehmen als ihm beliebte. Die arme Elisa erlitt durch die Gewalt, so er anwenden musste, um sie seinen lasterhaften Gelüsten untertan zu machen, vielerlei Gebreste (Anmerkung: altes Wort für Gebrechen), und hatte es auch nicht hehl; dass sie den Schneiderkönig verabscheute und hetzte durch ihre Reden alle seine andern Kebsweiber auf. Als Jan das inne ward, ließ er sie fesseln, und befahl, dass sie hingerichtet werde. Alsbald wurde mein Schwesterlein auf den Platz geführt, wo auch ich, angesichts der Richtbühne, als Zuschauer auf des Tyrannen Befehl hingestellt wurde, und wie nun die anderen Kebsweiber in weißen Bußkleidern auf den Knieen lagen rings um das Schaffot, denn sie mussten zur Strafe der Hinrichtung beiwohnen, da winkte der Schneiderkönig von einem Balkon herab, und an des siechen Scharfrichters Knipperdolling Statt, trat dessen Freiknecht, ein rothaariger Kerl, mit dem blanken Schwerte unter dem roten Mantel hervor, und schlug meinem jungen Schwesterlein das schöne Haupt vom Rumpfe. Bald darauf hatte das Königreich ein Ende, Jan und die Häupter der Wiedertäufer erhielten den verdienten Lohn von Scharfrichters Hand, und ich verließ die blutgedüngte Vaterstadt, denn ich konnte es nimmer aushalten in den Mauern, wo meine arme Elisa gemordet worden war, und wanderte auf gut Glück hinaus in die Fremde.

Etwa ein Jahr später stand ich in Paderborn bei einem Meister in der Arbeit. Eines Abends, da ich gerade in der Bude allein war, tritt eine Zigeunermutter herein und schwatzte allerlei Unsinn, dass ich sie scheltend hinauswarf. Eben da sie unter der Türe war, bemerkte ich wie ein langer schwarzer Kerl des Meisters Kind, das vor der Bude spielte, auf den Arm hob, und davon lief, - ich nicht faul, sprang gleich mit einem langen Riemen zur Bude 'naus, indem ich zugleich die alte Hexe fluchend zu Boden rannte, - gleich hatte ich den Kinderdieb eingeholt, und warf ihm von hinten die lederne Schlinge um den Hals, dass er rücklings zu Boden fiel, und das Kind fahren ließ. Wie ich nun dem Gefangenen in's Gesicht schaute, da erkannte ich trotz der braungefärbten Haut und dem zottigen pechschwarzen Haare, den rothaarigen Freiknecht wieder, der meinem Schwesterlein den Kopf abgeschlagen zu Münster. Schon ballte ich die Faust, den Kerl zu klopfen nach Herzenslust, da kamen Nachbarn, banden ihn mit Stricken, und Tag's darauf sah' ich wie er mit noch andern Zigeunern, seinen Genossen, auf den Rücken gebrannt, und dann zu Paderborn hinausgeführt wurde.

Nun! und dieser Freiknecht? fragten erwartungsvoll die Zuhörer.

Dieser Zigeuner und Freiknecht lebt noch, erwiderte nach dem Reiter hinüberschielend Veronika's Ehegatte, und ist Rottmeister geworden. Gott bewahre mich vor seiner Rache, wenn er mich erkannt. Alle Blicke wandten sich nun auf den Rottmeister, in dem die Beerhüterin den Franz Senk erkannt haben wollte; indessen barg sich der an allen Gliedern bebende Thomas wohlweislich hinter der Menge.

Aha! die alte Marthe hat zuletzt doch Recht, rief triumphierend die Beerhüterin, am Ende ist des Kirchners Pflegesohn, der Franz Senk, der Glöckner und Chorbube, Freiknecht, Zigeuner, und Rottmeister alles eins, wenn der Herr Soldat nur die Gnade haben wollte des Kaisers Rock auszuziehn, könnte man wahrscheinlich das Brandmal von Paderborn, und die Striemen des Schweinfurter Staupbesens noch auf seinem Rücken sehen.

Der Rottmeister, der alles erlauscht, seither mit gewalt an sich gehalten, und nur bisweilen giftige Blicke auf die vorwitzigen Weiber herüber geschossen hatte, konnte jetzt nimmer seine Wut bergen - dass Du auf dem Scheiterhaufen wärest, Du alte Hexe und Dir die verdammte Zunge im Plappermaule verdorrte! brummte er vor sich hin, und sprengte, den riesigen Pallasch (Anmerkung: alte Hieb- und Stichwaffe) schwingend, auf die Neugierigen zu, denen er zornig zubrüllte: Verfluchtes Bürgerpack! ketzerisches Gesindel! wollt Ihr Euch nach Hause oder zum teufel scheren! sie zugleich mit flachen Hieben auseinander treibend.

Nil novi subier solem! ächzte der Schulmeister, der sein Haus verlassen hatte, seine vermisste Ehehälfte aufzusuchen, und soeben von der keuchenden Frau Sibylle den ganzen Vorgang auf dem Markte erfahren hatte, - spitze Weiberzungen können ein Lamm in einen Löwen, um so mehr einen wilden Reiter in einen Helden verwandeln! O! wer nur immer so drein schlagen könnte, wie der Herr Rottmeister, denn, fügte er mit verdächtigem Seitenblicke auf sein Hauskreuz, die Augen fromm verdrehend und andächtig die Hände faltend, hinzu: ein bößes Weib ist ärger, denn ein Drachen....

Halt das Maul zum Guguck, Du Öltiegel! unterbrach ihn aufgebracht Frau Sibylle, ist der Daniel gewaschen, die Liese gekämmt? wie? hast noch nichts getan Du Bärenhäuter? und doch solch ein ungewaschen' Maul mit Deinem ehelichen Gespons? fort nach Hause. Mit diesen Worten ihren gehorsamen Ehemann und Meister vor sich hertreibend eilte sie keifend in den schulherrlichen Palast.

Indessen war der Marktplatz auf Befehl des Rottmeisters durch seine Untergebenen gefegt worden, und alle Neugierigen entflohen nach ihren Häusern, deren Türen sie schnell schlossen.

Was gibt's für ein Rennen? fragte den Rottmeister der spanische Hauptmann, welcher von des Bürgermeisters Behausung zurückkommend in der obern Gasse, wo diese gelegen, den Flüchtigen begegnet war.

Das Lumpenpack wollte sich mucksen, erwiderte der Gefragte, subordinationsmäßig vor seinem Offizier stehend, da fuhr ich mit dem Sarras unter die Schwertmäuler, und sie stoben auseinander wie Spreu im Winde.

Lachend erteilte nun der Hauptmann seine Befehle, und ordnete an, dass das Geschütz beim Zeughaus aufgestellten werden, die Konstabler aber in der Nähe desselben auf dem Roßmarkt logieren sollten.

Überdem kam des Bürgermeisters Knecht, und brachte Quartierzettel, welche schnell verteilt wurden an die Soldaten, die sich nun allmählich nach ihren Losamenten entfernten.

Zuletzt war außer dem Hauptmann und dessen Bedienten nur noch der Rottmeister mit seinen Leuten auf dem Platze, und erwartete ungeduldig, welches Quartier man ihm aufgeben würde.

In das finstre Loch, das Karmeliterkloster? rief er aus, da er den Zettel gelesen hatte, den ihm der Hauptmann übergeben, so soll doch das Gewitter 'nein schlagen, gerade ich das schlechteste Quartier.

Es ist sonst nirgends Platz, die Pferde zu stellen, gestrenger Herr Rottmeister! entgegnete fast furchtsam des Bürgermeisters Knecht.

Als dort wo die Fledermäuse den Sabbat feiern! fluchte der unwirsche Krieger - wart, ich will Euch noch Mores lehren!

Francesco! sprach nun der Hauptmann zu ihm, Du kommst jeden Abend zu mir in mein Quartier in des Bürgermeisters Wohnung auf eine Flasche alten Weins, die neue Ordre zu holen. Indessen richtet euch bequem hier ein, gefällt's uns, bleiben wir.

Je länger, je lieber! entgegnete in der Hoffnung, hier tüchtig den Meister spielen und sich für alle Unbill rächen zu können, der Angeredete, und entfernte sich mit seinen Leuten. Der Hauptmann aber schritt mit seinen Bedienten auf sein Quartier zu, ihm folgte Velten, der ob der wüsten Gäste den Kopf schüttelte und vor sich hin seufzte:

Wie mag es meinem guten Herrn noch ergehen mit solch tollem Gesindel?

Vor dem Rüfferschen Hause stand schon eine spanische Schildwache, die dem Hauptmann salutierte und im innern Hofe wimmelte es von Soldaten, welche die Befehle des Kommandanten zu erwarten schienen; der Hauptmann fertigte schnell einige von ihnen ab, und stieg dann, nachdem er Velten zugeherrscht hatte, seinen Herrn zu ihm zu rufen, die Treppe hinauf, welche zu seinem Gemache führte; hier machte er sich's bequem, schleuderte den Federhut auf den Tisch und warf sich in den weich gepolsterten Lehnstuhl, die Füße mit den Sporenstiefeln auf einen schönen samtbeschlagenen Sessel ausstreckend, und schien so den Hausherrn erwarten zu wollen. Nach einigen Minuten, da dieser sich noch immer nicht einstellte, sprang er mit einem Fluche auf aus dem bequemen Armsessel, und ging einige Mal in der Stube auf und ab, indem er zwischen den Zähnen murmelte: der Senor Alcalde lässt auf sich warten, er mag sich hüten!

Er schien seiner Zimmerpromenade bald müde zu werden, denn er blieb nun vor einem Holzschnitte stehen, der im einfachen Rahmen an der Wand hing, und sich durch die in der Ecke angebrachten Worte:

Mich : Wohlgemuth : Norimbergensis, del. 1493

als eine Arbeit des berühmten Lehrmeisters Albrecht Dürers kund tat. das Blatt stellte des ersten deutschen Dichters Krönung zu Nürnberg vor, und war mit der Inschrift versehen:

Conrad Celtes, Suinfurtensis, poeta laureatus ab Imperatore Frederico.

Wie hart, wie abgeschmackt, brummte ärgerlich der Hauptmann, der, den südlichen Geschmack seines Vaterlandes für die florentinische Schule teilend, nur weichere Formen, wie sie später ein Juan del Castillo, ein Velasquez und Murillos auf die Leinwand zauberten, gewohnt war, indem er die damaligen deutschen oder vielmehr Nürnberger Schule eigene Zeichnung betrachtete, - lauter hohle Gesichter, - und als er nun die Unterschrift gelesen, brach er mitleidig lachend in den Ausruf aus: rähmt sich das lumpige Nest auch eines Versmachers, wenn's noch ein spanischer Romanzendichter wäre, fuhr er in seinem Selbstgespräch der Spanier fort, dem die Namen eines Celtes und Agricola's böhmische Dörfer waren, und der natürlich nicht wusste, das Celte's Werke nur in sauberem Latein verfasst waren, - aber so ein deutscher Verseschreiber, der in einer Sprache reimt, die man nur, wie unser ruhmvoller Kaiser und König sehr richtig bemerkt hat, mit seinem Pferde sprechen soll, ist auch der Mühe wert, dass man von ihm redet. Plötzlich brach sein Zorn ob des langen Ausbleiben des Bürgermeisters wieder los, und mit den Worten: was tut auch das Konterfei eines Versmachers in dem Schlafgaden eines Kriegsmannes? fuhr er mit dem Knopfe seines Schwertes zertrümmernd auf das Bild los, dass die Scherben des Glases und Rahmens in unzähligen Stücken zu Boden fielen.

Da ging die Türe auf, und verwundert über das sonderbare Geräusch trat Herr Rüffer ein, der als er die Vernichtung jenes geschätzten Holzschnittes bemerkte, einen zornigen Blick auf den Hauptmann warf. 

Ihr seid säumig, Sennor Borgomaestro. fuhr ihn dieser an, lasst mich noch einmal so lange warten.

Es wird künftig nicht mehr geschehen, erwiderte mit ruhiger Verachtung der Bürgermeister, denn meine armen Bilder müssten es sonst entgelten.

''S ist auch viel an dem Wisch gelegen, war Don Tellez' barsche Antwort, und überdies, wo ich Herr bin, schalt' ich nach Belieben.

Ihr habt mich rufen lassen, was habt Ihr mir zu sagen, Sennor Capitan? fragte, seinen Unwillen unterdrückend der Hausherr.

Ich befehle Euch, begann im herrischen Tone der Gefragte, Sorge zu tragen, dass meine Soldaten mit Wein und aller Leibesnotdurft hinreichend versehen und ordentlich traktiert werden; sputet Euch, sonst will ich Euch und Eure Bürger lehren, wie ich meine Untergebene behandele.

Ihr seid des Kaisers Knechte, wie wir seine Untertanen, fuhr unbedachtsam der Bürgermeister heraus, und nur dem Kaiser selbst brauchen wir zu gehorchen soweit dies verträglich mit unserer Stadt hochlöblichen Privilegien.

Was kümmern mich Eure hochlöblichen Privilegien, schrie der Spanier zornig auf, zog das Schwert aus der Scheide und legte es ungestüm auf den Tisch mit den Worten: Ecce meum (dies ist das meinige). Eure staubigen Pergamente sind schlechte Koller für meiner Schützen Kugeln, denn wisst's, wer die Gewalt hat, hat auch das Recht, drum könnt' ich mir die Mühe sparen, Euch zu beweisen, dass ich Recht habe, so mit Euch zu verfahren, doch, damit Ihr nicht klagen könnt, will ich morgen meine Befehle, und die Instruktionen, so mir des Kaisers Majestät gegeben, mitteilen; beruft deshalb Eure Ratsherren auf morgen Nachmittag, bis dorthin Gott befohlen! und mit der Hand auf die Türe deutend, kehrte er dem vor Wut mit den Zähnen knirschenden Hausherrn den Rücken zu.

Halt! mir fällt was bei! rief auf einmal der Hauptmann, sich wieder nach ihm umdrehend, - habt Ihr auch für ordentliche Bewirtung Eures Gastes Sorge getragen, Sennor Borgomaestro?

Man wird Euch bedienen, erwiderte Herr Rüffer, und wollte sich entfernen.

Dann vergesst nicht den edlen Rebensaft, herrschte Don Tellez mit des Siegers Übermut ihm zu, spart ihn beileibe nicht, sollen nicht meine Soldaten Eure Kellermeister werden, und Eure Mutterfässchen aus den Winkeln hervorsuchen, und habt Ihr eine schöne Frau oder Schwester, so tut Ihr wohl daran, sie zu bewegen, dass sie uns den Wein kredenze, denn eine zierliche Hebe, ist sie sonst nicht spröde, könnte manchmal der Stadt und ihrem Gebieter ein gutes Wort bei uns reden, setzte listig der Großprahler hinzu.

Eine Hebe, dir Gift zu reichen, kann noch erscheinen! brummte vor Grimm die Stiege hinabeilend der Bürgermeister, und stürzte mit rachelechzender Seele in sein Wohnzimmer, wo die Weiber erschreckt von dem bleichen, unglückweissagenden Antlitz des Hausherrn, von den Sitzen aufstunden, und ihn ängstlich umringten.

Hu! dass ich solche Schmach ertragen, solch ehrenrührige Worte vernehmen muss von einem Kriegsknechte, jammerte der Bürgermeister.

Um Gott! was ist's mein Herrmann? fragte Frau Elsbeth mit bebender Stimme.

Hahh, lachte wild ihr Eheherr auf, unser spanischer Gast tat mir die Ehre an, sich zu erkundigen ob auch mein Weib oder die Schwester, so ich eine besäße, hübsch genug, seine.....

Der Zorn erstickte ihm die Worte in der Kehle, und voll Abscheu vor dem Geahnten kehrten die Frauen sich ab.

Aber, bei Gott dem Allmächtigen! schwur nun mit aufgehobener Hand und vor Ingrimm in die Höhe sich richtend der Bürgermeister, ehe ich die Schande dulde in meinem Hause, eher soll diese Hand verdorren an meinem Leibe und des wolllüstigen Wüterichs Herzblut an meinem Schwerte kleben, muss ich gleichwohl dann meinen Schädel zum Hochgericht schleppen.

Mit Tränen in den Augen umklammerte Frau Elsbeth den trostlosen Gatten, indes Kunigunde mit gesenktem Haupte zur Seite Stand und Frau Sabine im Armsessel sitzend ihr verweintes Antlitz in den Händen barg.

Lieber Mann! schluchzte Elsbeth an Herrn Rüffers Halse, lass uns nicht verzagen in der schweren Zeit, noch waltet der himmlische Vater, und auf Dein Weib kannst Du getrost vertrauen.

Ja! Du bist treu wie Gold, doch wer kann für Gewalt, sprach eintönig ihr Gatte.

Dann umarmt der Wolllüstling eine Leiche, antwortete Elsbeth dem Bekümmerten.

Lasst uns zu Gott hoffen, liebe Kinder, unterbrach Frau Sabine die plötzlich eintretende Stille, dass der Hauptmann nicht entmenscht genug sei, der Gattin Pflicht zu verspotten, und der Mutter reine Würde verletzen zu können.

Was ist einem solch rechtgläubigen Krieger noch heilig? versetzte mit bitterem Spotte der Bürgermeister.

Meide Du nur, sprach dann zu Kunigunde gewendet Frau sabine, die Blicke des frechen Gastes, dass nicht des Kummers noch mehr werde.

Kunigunde Segnitz, entgegnete stolz und mit festem Mute die schöne Jungfrau, bringt dem künftigen Gatten ihre Unschuld zum Brautschatz, oder der jungfräuliche Kranz schmückt sie noch im Sarge, darein sie die Tugendliebe gebettet

Ermutigend reichte die auf ihren Eheherrn liebevoll gestützte Elsbeth der edlen Schwester ihre Rechte, welche diese mit inniger Zuneigung an ihr Herz drückte.

Plötzlich ging die Türe des Gemachs auf, erschrocken flohen die Frauen auseinander, und Herr Rüffer schritt mit kräftigem Gange nach der Schwelle hin, über die eben der alte Torwächter hereingehinkt kam, der sich dann, einen durch den fatalen Fuß verunglückten Bückling schneidend, mit höflicher Hast entschuldigte, eingetreten zu sein, nachdem sein dreimaliges Klopfen überhört worden.

Aha! brummte nun der Invalide, des Bürgermeisters finstres, zornbleiches Antlitzund der Frauen verweinte Augen erblickend, hat hier Meister Herzeleid auch schon angepocht, dachte, mir ging es allein so; habe da seit 'ner Stunde 'n paar spanische Störenfriede im Quartier, glaubten schon die lumpigen Bestien, sie säßen im Rohre und müssten auch gleich Pfeifen schneiden, mein Mädel tanzen zu machen nach ihrer Melodei, aber ich nicht faul, rührte meine alten Knochen und warf das Gesindel zum Turme hinaus.

In demselben Augenblicke wurde draußen auf der Straße ein Rennen und Laufen von Soldaten sichtbar, die sämtlich in das Rüffer'sche Haus hereinstürmten. Gleich darauf hörte man den Hauptmann wild fluchend herunter poltern und die ängstlich Harrenden sahen ihn lsbald mit erhitztem, zornroten Antlitz fortstürzen und die Obere Gasse hinabrennen nach dem Rathause zu. Es verging auch keine Sekunde, da erschien Heiner, der Hausknecht, keuchend unter der Türe und bat den Bürgermeister hastig, hinunter zu kommen auf's Rathaus, wo die Spanier stürmisch die Bestrafung des Mühltorwächters forderten, weil dieser seine Einquartierung gar unsanft auf die Straße gesetzt.

Ich komme gleich! sprach der Bürgermeister und ging, da der Knecht die Türe wieder geschlossen, auf den Invaliden zu, der sich bedenklich hinter den Ohren kratzte.

Ich fürchte, seine Sache steht schlimm, Puttenberger; unsre Gerechtsame wird mit Füßen getreten und die Spanier legen ihre Schwerter in die Wagschale der Gerechtigkeit. Drum entfernt Euch schleunigst aus unserm Weichbild, dies ist Eures Bürgermeisters wohlgemeinter Rat. Brigitte und Euer Weib sendet zu mir, meine Frauen sind bereit sie zu empfangen.

Mit diesen Worten entfernte sich Herr Rüffer, der schnell den Weg nach dem Rathause einschlug, indes der Torwächter durch die Hinterpforte seines Hauses auf den Wall hinausschlüpfend und im fortkochenden Grolle weidlich auf die Spanier schimpfend, seiner eigenen Wohnung auf dem Mühlturme zuhinkte.

Millionen Schock Donnerwetter, fluchte er auf einmal, da er eben in Begriff war, die wenigen Staffeln zu seiner Wohnung hinaufzuschreiten, und plötzlich fühlte, dass sein Knie im Blute schwamm, - muss das verdammte Knie auch gerade jetzt aufbrechen, da ich fort soll, ich muss es in der Hitze gar nicht gemerkt haben, wie mich die schäbigen Hunde daran gestoßen. Na! gute Nacht, Puttenberger! seufzte er, sich mit Mühe die drei Stufen hinaufschleppend, und warf heftig die Türe hinter sich zu, dass sie mit lauten Gekrache in's Schloss fiel.




5.

In des Hauptmanns Gemache im Rüffer'schen Hause stand eine Stunde später der Rottmeister Francesco und harrte des Gebieters.

Ärgerlich, dass man ihn umsonst her beschieden, stieß er den schweren Sarras auf den Boden, dass die Fenster klirrten in ihren Riegeln; da fiel sein Blick auf eine Fensterscheibe, die ganz verkritzelt war.

Hat wieder einmal, brummte er in den Bart, der schöne Brillantring herhalten müssen, welchen er, wie ich schon hundert Mal von ihm gehört, von seinem Onkel, dem verstorbenen Domherrn in Brügge geerbt, der ihn von dem dortigen berühmten Diamantschleifer Ludwig Berquem erhandelt, - musste der prächtige Diamant schon wieder seine Großsprechereien im Glase verewigen, - und da er das Gekritzelte, wie folgt, entziffert hatte:
Don Sancho Tellez de Valentia la hermosa,

Grande d'Hispania

el invincible capitan al exercito

del emperador Carlos V.

setzte er achselzuckend hinzu: dass doch so ein vermaledeiter Halb-Insulaner das Prahlen nicht lassen kann, brüstet sich der Strohkopf mit seinem spanischen Grandetitel, zu dem er gekommen, wie der Hund zum Tritt, weil ihn einmal sein König aus Unachtsamkeit geduzt, und er unverschämt genug sogleich den Landesbrauch benutzt hatte, und sich in seines Fürsten Beisein bedeckte.

Da wurde Geräusch auf der Treppe hörbar; aha! fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, der Wolf kommt gerennt, wann man ihn nennt, horch! der Tritt ist doch zu leicht für den Hauptmann, muss doch sehen, wer kommt, und er ging, die Türe zu öffnen.

In demselben Augenblick stürzte ein hübsches Mädchen, dessen Wangen vom Laufen in der kalten Schneeluft gerötet waren, ängstlich herein und gerade zu seinen Füßen. Gebt mir meinen Vater wieder, Herr Hauptmann, wimmerte das arme Geschöpf, sonst stirbt mir die Mutter zur Stunde noch.

Wer bist Du? fragte verwundert der Rottmeister, der es nicht übel fand, einstweilen die Rolle des Hauptmanns zu spielen.

Die Tochter des Torwärters, den Sie soeben gefangen in die Bastei geschleppt, antwortete mit lauten Schluchzen Brigitte.

Was kann ich für Dich tun? forschte von einem ihm unerklärlichen Gefühle bei dem Anblick der schönen Jungfrau überrascht, der Rottmeister, der bis jetzt kein Mitleid gekannt. Ach, befreit meinen Vater aus den Händen Eurer Soldaten, und ich will innig beten für das Wohl unsres Retters, flehte Brigitte.

Da gewann wieder der teuflische Eigennutz die Oberhand in des Rottmeisters sündiger Seele und mit sinnlichem Wohlgefallen weidete er seine Augen auf der schönen Gestalt der Knieenden, deren Busen in heftiger Wallung sich hob. Steh' auf, niedliches Kind! wandte er sich nun dem zu, ängstlich seines Ausspruchs harrenden Mädchen, ich bin nicht der Hauptmann, doch steht es in meiner Gewalt, Deinen Vater zu befreien.

Wer Ihr sein möget, versicherte, seine Hand bittend umklammernd, Puttenbergers Tochter, dennoch will ich Euch gerne danken und verehren, so Ihr mir den Versorger errettet aus dem Gefängnis.

Und ihr Blick hob sich treuherzig auf das nicht unschöne männliche Antlitz des Rottmeisters, der den dunkel gefärbten Bart gar zierlich zu kräuseln verstand und auch sonst als ein Verehrer des andern Geschlechts sich hinreichend zu putzen wusste, so dass eines Weibes Auge wohl eine Minute lang mit Wohlgefallen auf seiner kräftigen Gestalt ausruhen konnte.

Auch Brigitte musste etwas ähnliches empfinden, denn ihr sonst schüchterner Blick senkte sich diesmal nicht, wie vorher, vor dem lüsternen Männerauge, sondern blieb vielmehr erwartungsvoll auf des Rottmeisters Lippen haften.

Gern will ich Dir helfen, doch welch' ein Lohn erwartet mich? forschte jener dringend.

Lohn? fragt gedehnt, die Augen vor den wolllustfunkelnden Blicken des Kriegers niederschlagend, Brigitte.

Du Närrchen, meinst wohl gar, ein Reitersmann, der sein Leben dem Kaiser verkauft, tue einen Dienst umsonst? entgegnete jener die heftig sich Sträubende umschlingend.

Um Gott! welchen Lohn kann ich Euch reichen? Der Vater ist arm, und das Wenige, was wir besaßen, hat der Mutter Siechtum uns genommen, weinte leise das an allen Gliedern bebende Mädchen. Gering ist der Torwächter Sold, und reichte kaum für uns drei, wenn ich nicht spänne für die reichen Frauen unsrer Stadt; meine Sparbüchse, setzte sie langsam im schmerzlichen Gefühle ihrer Armut hinzu, hält kaum ein Pfund Heller; doch gern geb ich Euch alles, kann es Euch befriedigen und den Vater seiner Haft ledig machen.

Nicht einen Heller, nicht einen Deut verlang ich von Dir, entgegnete mit widrigem Lächeln der Rottmeister, der sich an des Mädchens Angst ergötzte, mit schön'rer Münze sollst Du mich bezahlen.

O fordert, alles soll Euch werden für des Vaters Rettung, was ich Arme Euch geben kann, antwortete mit dem Ausdruck der reinsten Unschuld die blutjunge Brigitte.

Wie alt bist Du, Mädchen, fragte plötzlich der Rottmeister.

Kaum sechzehn Jahre, Herr Soldat, erwiderte schüchtern des Torwärters Tochter.

So jung und schon eine solch schmucke Dirne! rief Francesco aus, der Busen voll...

Ach, Ihr vergesst, unterbrach schamrot Brigitte den in Extase geratenden Rottmeister, fürchtend, er möchte von ihrem Thema abkommen, - dass mein Vater schmerzlich der Befreiung entgegen seufzt, denn wisst es, Herr! die Bastei ist ein gar schreckliches Gefängnis.

Ich rette ihn, doch nur um einen Preis! beteuerte der Reitersmann.

Und dieser Preis, schien Brigittes forschender Blick zu fragen.

Und dieser Preis bist Du, fuhr jener fort.

Ich? fragte bestürzt die Errötende.

Ja! Du! sprach sie aufs Neue umfangend Francesco, gewährst Du mir der Minne Gold, befreie ich Deinen Vater und müsst' ich ihn aus der Hölle holen!

Grausamer! schrie Brigitte ihn mit Gewalt von sich stoßend, und eilte auf die Türe zu, - meines Elends zu spotten auf solche Weise.

Ohne diesen Lohn, setzte kaltblütig der Rottmeister hinzu, bleibt Dein Vater in Ketten, und baumelt vielleicht schon morgen.

Gerechter Gott! seufzte laut die arme Dirne, der Vater tot oder die Tochter entehrt. Unmensch! rief sie mit schmerzvollem Akzent, der jedes andern Seele erschüttert hätte, dem unerbittlichen Reitersmann zu, könnt Ihr so mich quälen; sind wir denn nicht elend genug, dass Ihr unser letztes Gut und rauben wollt, die Ehre?

Ach was! Ehre! brummelte der soldateske Freigeist, dummes Geschwätz, als ob so ein Pfaff oder Predikant verschaffen könnte, was nur auf dem Schlachtfelde zu erlangen, weil Dich die Leute ein Soldatenliebchen nennen werden, soll lieber der Alte dort in der Bastei vermodern. Nun meinetwegen!

Laut wimmernd rutschte Brigittte auf den Knien zu ihrem Peiniger und sprach die Hände ringend zu ihm hinauf: Ach! Herr! fürchtet Ihr Euch denn nicht der Sünde, solches zu begehren?

Da wüsst' ich keine Sünde, entgegnete widerlich lachend der Rottmeister, lass ich den Alten im Loche, so hängt er morgen, und wer weiß, ob er nicht anderswo den Galgen verdient hat, da wär' es klug von mir, ein gerechtes Werk nicht verhindert zu haben, rett' ich ihn dagegen, so ist dies eine gute Tat, wenn er unschuldig ist und ich bin dann bei dem Himmel quitt für die kleine Sünde mit Dir.

Da konnte Brigitte es nicht mehr aushalten bei dem grausamen Verführer und heftig weinend wankte sie der Schwelle zu, doch ehe sie diese erreichte, rief ihr der Rottmeister noch nach: heute abend um acht findest Du mich im Karmeliterkloster, kommst Du?

Sie hielt sich einen Augenblick an der Pforte, als erdrücke sie der Schmerz, dann neigte sie stumm das Haupt und eilte davon, mit der Schürze das rotgeweinte Antlitz verbergend.

Geh nur, mein Täubchen! rief der Rottmeister, als die Tür hinter ihr in's Schloss gefallen war und rieb sich freudig die Hände; - Du bist gefangen in meinen Netzen! Jetzt fängte ein Götterleben für mich an. Mit dem Alten prssiert's nicht. Wenn der Hauptmann einmal guter Laune ist, kann ich ihm schon des armen Schluckers Freiheit begehren, denn mit dem Hängen hat's doch keine Eile, wenn ich schon dem jungen Dinge recht warm damit gemacht habe. Franz! hast Dich wieder einmal tapfer gehalten, besser als bei der verdammten Affäre bei Mühlberg. Das Wettermädel hat mir's angetan, 's wird mir die Zeit schon lange werden bis zum Abend, noch dazu wenn mich der Hauptmann noch 'ne Weile warten macht.

Des Spaniers Ankunft unterbrach plötzlich seinen Monolog. Stürmisch kam der Hauptmann in's Zimmer gerannt und fluchte, Hut und Wehre von sich werfend, auf die steifen Ratsherren, die ihm die Galle in's Blut gejagt.

Wartet, Kanaillen! schloss er seine mit Millionen Schock Donnerwetter und anderen erbaulichen Redensarten ausgeschmückte Fluchtirade, wartet nur bis morgen, wenn ich Euch des Kaisers Instruktion bringe, da will ich auf den Busch klopfen, dass gewiss alle Hasen davonlaufen.

Da bemerkte er auf einmal den Rottmeister, der den Vorgesetzten ordonanzmäßig grüßend am Fenster stand.

Ha, gut dass Du da bist, Francesco, sprach er sein wildes Gesicht ein wenig entrunzelnd. Ich habe mir böses Blut gemacht wegen - na! ich mag jetzt nicht dran denken.

Ihr habt mich rufen lassen, Hauptmann? entgegnete der Rottmeister.

Ich wollte wissen, ob Du versorgt seist mit Deinen Leuten, doch nein, das war's nicht, richtig jetzt weiß ich's, fuhr der Hauptmann fort, ich langweilte mich vorhin in der stillen Straße, da wollte ich von Dir hören, ob Du nicht vielleicht allbereits eine schöne Dirne aufgestöbert in Deinem Quartier oder in Deiner Nähe; - hier im Hause hab' ich noch kein Weibsbild zu Gesicht bekommen; denn die alte Vogelscheuche von Magd zählt weiß Gott nicht zum schönen Geschlechte.

Ich war auch nicht glücklicher als Ihr, entgegnete der Gefragte und berichtete von seiner Wirtin, der hässlichen Karmeliterin und setzte dann gleich, um seinen Vorgesetzten aus dem eigenen Gehweg wegzuleisten listig hinzu, wie er erfahren, dass Herr Rüffer eine gar schöne Schwägerin habe, die man wahrscheinlich vor den Augen des Gastes verberge.

Will sie schon aufspüren, beteuerte der Spanier, meiner Mutter Sohn hat gar eine feine Nase für solches Wild!

Die Mittagsglocke läutet! Wenn Ihr sonst nichts zu befehlen habt, so erlaubt, dass ich in's Quartier zurückkehre, Herr Hauptmann, bemerkte der Rottmeister. Ich möchte die neue Kost nicht kalt werden lassen.

Du kannst jetzt fort, Francesco, sprach der Offizier, komme morgen aber noch früher, wenn was Neues vorfällt. Und wenn Dir ein schönes Weibchen aufstößt, so vergiss nicht, dass ich blanke Dukaten für Dich bereithalte und dann erst noch nachher die Dirne Dir überlasse. Wenn Du hinuntergehst an der Küche vorbei, melde der Hausfrau, dass ich sie und das Essen erwarte.

Ehrerbietig sich verbeugend ging der listige Rottmeister von dannen.

Bald darauf trat Heiner, der hausknecht, herein und stellte auf den Tisch, den er mit blütenweißen Linnen gedeckt hatte, das lieblich duftende Mittagsmahl, dabei nicht des blanken Bechers und der wohlgefüllten Kanne vergessend.

Mürrisch setzte der Hauptmann sich nieder zum Essen und begann, in der Hoffnung, dass bald, durch des Hausherrn Vorsorge, eine liebliche Mundschenkin erscheinen würde, indessen das erste Gericht zu verzehren; da aber Heiner, eine Schüssel nach der andern auftragend, immer ab- und zuging und es bald dem Spanier klar wurde, dass man seinen Befehl umgehen wolle, und der Hausknecht allein zu seiner Bedienung bestimmt sei, da fuhr er wie besessen in die Höhe und fragte unwirsch den Heiner, warum die Hausfrau oder deren Schwester so lange zögere, ihr Amt bei ihm anzutreten.

Die Herrschaft sitze selbst beim Mittagessen, war des treuen Hausknechts Antwort und könne daher jetzt nicht dem fremden Gaste aufwarten.

Die Hausfrau soll essen, wann ich satt bin, rief wild werdend der Hauptmann, warum lässt man mich hier allein speisen und zog mich nicht an den Familientisch?

Weil die schlichte Hauskost auf des Herrn Tafel wohl schwerlich dem leckern Gaumen eines kaiserlichen Offiziers schmecken würde, entgegnete Heiner.

Hätte man da nicht eine oder zwei aparte Schüsseln für den Gast auftischen können? polterte der  Spanier - schale Ausreden - ich merk's schon, man will mich fern halten; meinetwegen, ich will auch allein essen, aber dann muss die schöne Schwägerin den vornehmen Gast bedienen bei Tisch und nicht ein Klotz wie Er.

Ungebetene Gäste, erwiderte durch des Hauptmanns letzte wegwerfende Aufspielung gereizt der stämmige Sohn des Rhöngebirgs, werden hier zu Lande nur durch die Küchenmagd oder den Hausknecht bedient.

Was Kanaille! Du spottest noch? fragte zornig aufbrausend der Spanier, wart! ich will Euch den ungebetenen Gast erst recht zeigen und gleichsam seinen Worten Kraft zu geben, schleuderte er die halbleere zinnerne Kanne an Heiners Kopf, dass gleich darauf ein Strom Blutes von dem getroffenen Schädel des armen Hausknechts aus der breiten Wunde schoss und im Nu sein Gesicht blutig rot übertünchte.

Mit geballter Faust wollte der Getroffene auf den Angreifer losgehen, aber das klbrige Blut, das warm über seine Stirn und über die Augenlider herabtropfte, verhinderte ihn, den Gegner zu sehn, und vor Schmerz heulend rannte er zum Zimmer hinaus. Durch den Anblick des Blutes auf's Neue verwildert, stürzte der Hauptmann ihm fluchend nach, die breite Treppe zu des Bürgermeisters Wohnung hinab.

Herr Gott! was ist das für ein Rumor! rief der Bürgermeister, der mit seiner Familie beim Mittagstische versammelt saß, da er den schrecklichen Lärm hörte, welcher der Treppe seiner Wohnstube sich nahte.

Schnell wurde die Türe aufgerissen udn erschreckt flohen die Frauen in die Ecke, da sie den Spanier mit zornfunkelnden Augen auf der Schwelle stehen sahen.

Mil demonius! schrie dieser den Hausherrn an. Habt Ihr so wenig Achtung für Euren Gast, Borgomaestro, dass Ihr seiner Befehle zu spotten wagt und anstatt der Mundschenkin dort, mir solch ungeschlacht Gesindel wie Eure Knechte sind, zur Aufwartung schickt.

Rasch schritt er auf des Bürgermeisters Schwägerin zu und streckte eben die Hand aus, sie zu fassen, indessen die anderen, wie zu salzsäulen erstarrt, sich nicht von der Stelle zu rühren vermochten; doch entsetzt fuhr Kunigunde zurück, da sie des Hauptmanns rotgefleckte Hand erblickte.

Blut, Blut klebt an des Mörders Hand! rief sie vor Schrecken kreischend aus.

Schnell wischte der Spanier die Blutflecken am Kleide ab, die er wahrscheinlich am Treppengeländer von Heiners Blutverlust bekommen.

Fürchtet nichts, Jungfrau! der Tölpel der mich bediente, hat sich an der Hand verwundet, und da klebten die paar Blutstropfen wahrscheinlich an der Klinke meiner Türe, doch jetzt kommt! mit diesen Worten fasste er sie mit heftiger Gewalt um den Leib und wollte sie mit sich zum Zimmer hinausschleppen, da erwachte Herr Rüffer aus dem Starrkrampf, der seine Glieder gefesselt hatte, und stürzte mit aufgehobenen Arme auf den Friedensstörer los.

Lass sie los, Unmensch! herrschte er dem Hauptmann zu, der eben zu seinem Verdruss bemerkte, dass er sein Schwert oben gelassen, und nun mit der hand nach dem Dolche fuhr, der in seinem Gürtel hing und der gleich darauf blinkend durch die Luft zuckte, des Bürgermeisters Brust bedrohend.

Doch die Hände ringend, sprang Kunigunde zwischen beide und wehrte dem Schwager ab, welchen Elsbeth vor Angst bebend mit dem letzten Aufwand ihrer Kräfte zurückriss und winkte seinem Gegner, vorauszugehen.

Ich folge Euch gutwillig, Herr Hauptmann! sprach sie zu diesem, der nun verächtlich den anderen den Rücken kehrte und sich nur auf der Schwelle noch umdrehte zu schauen, ob Kunigunde ihr Versprechen halte. Zufrieden stieg er die Treppe hinauf, da er sich überzeugt, dass die entschlossene Jungfrau, die unbemerkt ein scharfes Messer von dem Tische genommen und in den weiten Falten ihres Hauskleides verborgen hatte, ihm auf den Fersen war.

Da trat der Heiner mit verbundenem Kopfe ihr entgegen und fragte, dem Spanier mit der Faust drohend, ob sie in die Höhle des Wolfes sich wagen wolle.

Doch ohne zu zaudern schritt Kunigunde, die für das Wohl der Ihren zitterte, die Treppe hinauf, auf der sie mit Entsetzen die häufigen Blutspuren wahrnahm, und Abscheu erfüllte ihre Seele, da ihr Blick auf die blutbespritzte Kanne fiel, die mit zerbrochenem Deckel auf dem Boden des Gemaches lag.

Schaudernd erfüllte sie des Spaniers Geheiß, der eine frische Kanne begehrte und versah während er mit Speis und Trank sich labte und dazwischen wolllüstige auf ihre züchtig verhüllte Gestalt heftete, die Dienste einer Schenkmagd.

So! sprach jetzt der Hauptmann, Messer und Gabel niederlegend, reiche die Kanne, schmucke Dirne, fülle den Becher und kredenze mir den stärkenden Wein!

Kunigunde tat wie ihr geheißen, doch als sie den Trunk ihm darbringend, näher zu ihm trat, umfasste er sie am Mieder und wollte sie auf seinen Schoß ziehen; von seinem Arme überwältigt, sank sie an seine Brust, doch schnell suchte ihre rechte Hand das Messer, welches sie in ihrem Kleide verborgen und sich aufraffend ließ sie die blanke Klinge vor seinen Augen erglänzen.

Lasst mich los, rief sie entschlossen, oder.... und die verdächtige Bewegung ihres bewaffneten Arms der über seinem Haupte das scharfe Eisen schwang, zeigte deutlich genug ihre Absicht.

Caramba! stammelte erschrocken der rohe Krieger, der den festen Mut fürchtete, welcher aus der Jungfrau zornfunkelnden Augen leuchtete und daher schnell ihren Wunsch erfüllte, - wirst doch nicht des Teufels sein, um eines lunpigen Kusses halber, setzte er, sich zum Lachen zwingend hinzu, mir die Gurgel abschneiden zu wollen.

Ihr oder ich! schwor mit vor Unwillen geröteten Wangen das umso hübschere Mädchen, das noch immer das Messer schützend vor sich hielt; dem Hauptmann war einstweilen die Lust vergangen, sie aufzuhalten, und eilig entfloh die standhafte Jungfrau dem verblüfften Wolllüstling, der ihr nachbrummte:
Wirst schon noch kirre werden, du wilde Amazone! wann ich deiner verehrlichen Familie zu Leibe rücke und dir so meinerseits das Messer an die Gurgel setze.

Per la nuestra Sennora de Valladolid! bei der heiligen Jungfrau gelobte er des frommen Mädchens Unschuld zu morden oder alle ihre Angehörigen zu verderben. Nein! solche Schwüre erhört nicht die reine Madonna, die Mutter des himmlischen Heilands.


6.

Auf dem Rathause im großen Saale waren am folgenden Tage die regierenden Herren der Reichsstadt und Republik Schweinfurt versammelt, aus dem Mnde des Don Tellez die Befehle des Kaisers Karl V. zu vernehmen.

Hinter einem großen Tische saßen die den Sechserstand bildenden, sechs alten geheimen Räte, in ihrer Mitte, den Kopf auf die Lehne des Armsessels gestützt, der Oberbürgermeister, mit den Insignien seiner Konsularwürde bekleidet, auf der hochklopfenden Brust das güldne Ehrenkettlein und an der Linken den treuen Flamberg, den er in der Schlacht bei Cerisoles gegen den Grafen von Eughien gar mannlich geführt. Neben jenen, welche die höchste Gewalt teilten, waren Bänke aufgerichtet für die sechs Schöppen (Schöffen) oder Gerichtsherren und ihnen gegenüber nahmen die zwölf Senatoren ihren gewöhnlichen Platz ein.

Die, wegen der außerordentlichen Gelegenheit heute auch anwesenden Achterherren hatten sich dem Bürgermeister gegenüber zu beiden Seiten des dort aufgestellten, für den spanischen Hauptmann bestimmten Lehnstuhls, niedergelassen, und hinter ihnen standen die Gildeherren und Zunftmeister und noch einige angesehene Bürger der Stadt, die heute bei dem wichtigen Anlass ebenfalls einberufen worden, obgleich sie im Rat weder Sitz noch Stimme hatten.

Als nun alle Plätze besetzt waren und nur des Hauptmanns Sitz noch leer stand, begann der Bürgermeister eine Anrede an die Versammlung zu halten, darin er mit kurzen Worten das Begehren des Kaisers erläuterte und forderte sodann jeden auf, seine Meinung zu erklären und zur raten, was der Magistrat dieser für das Wohl der Bürgerschaft so wichtigen Angelegenheit tun oder lassen solle.

Nicht genug, schloss er, dass der Kaiser, durch Zusendung seiner zügellosen Rotten, unsre bürgerliche Freiheit und die Gerechtsame unsrer Stadt gefährdet, sondern man wagt jetzt auch noch unsre Gewissensfreiheit anzutasten, deshalb, liebe Mitbürger, kommt es darauf an, in dieser schweren Zeit einen Entschluss zu fassen und nach reifer Überlegung das Heil unsrer Seele oder das zeitliche Wohl unsres Leibes zu verteidigen.

Nichts für ungut, wertbeste Herren! sprach indem er sich von der Schöffenbank erhob, der Gerichtsherr Wolfram, zu den geheimen Räten gewendet, wenn ich mir erlaube gegen die gewöhnliche Herkunft, das Wort vor dem Sechserstand zu nehmen; aber ich habe, wie Ihr wisst, erst vor wenigen Tagen meine Reise durch Deutschland beendet und bin dadurch in den Stand gesetzt, Euch zu berichten, was ich in Hinsicht auf das Interim selbst gesehen in den Städten.

Lasst hören, Schöffe! winkte der Bürgermeister ihm zu.

Da ich nach Schwaben kam, begann Wolfram, ließ eben der Herzog von Württemberg das Interim durch den Stadtschreiber verkündigen und konnte man wohl hören, wie es der Fürst in seiner misslichen Lage nur aus Not getan, er musste die Messe zulassen, aber es waren nicht so viele Geistliche im Land, dass sie überall hätten können eingeführt werden, der Herzog hatte schon bereits die Messgewänder, Kirchenornate u.s.w. veräußert, und selbst da, wo der päpstliche Gottesdienst von katholischen Priestern gehalten wurde, ist doch vor der Predigt jedesmal evangelisch gepredigt und das Abendmahl gereicht worden nach der Lehre des hochseligen Doktor Luthers.

Zu Augsburg hat die Römisch-Kaiserliche Majestät, fuhr er fort, dennoch trotz aller tyrannischen Gewalttaten bis heute die evangelische Lehre nicht verdrängen können, so wenig wie in Konstanz und auch zu Straßburg haben des Kaisers Befehle wenig gefruchtet und in Niedersachsen spotten alle die Städte des Interims und erwarten gefasst die kaiserlichen Völker, fest entschlossen, so wenig in ihrem Glauben zu wanken, als ihre Ringmauern auf ihren Grundfesten.

Und so soll es auch bei uns sein, sagte der Älteste von den Sechsern, wir wollen zu der reinen Lehre halten, so lang der Atem in uns wohnt.

Nehmt Euch lieber ein gut Beispiel, - spach Conrad Mainberger, der stämmige Zunftmeister der Gewandschneider, - an den Lindauer Ratsherrn, die sich das Schicksal der benachbarten Stadt Konstanz zu Herzen gehen ließen, und sich lieber, um wenigstens ihre Reichsfreiheiten unangetastet zu erhalten, freiwillig dem Willen des Kaisers unterwarfen.

Unwilliges Gemurmel durchlief die Versammlung, da dieser geendet hatte und es erhob sich der Senator Wesenius, den Mainberger bedeutend, wie er sich ohnedem noch von dem Verdacht des Papsttums zu reinigen habe und sich daher hüten möge, künftighin solche gottlose Vorschläge zu wagen.

Was mich betrifft, beteuerte Herr Rüffer, werd' ich eher mein Bürgermeisteramt niederlegen, als zuzugeben, dass unsre Privilegien verletzt und unsre Gewissensfreiheiten eingeschränkt werden, denn ich halte das Interim für ein göttliches Werk, das die gefährlichen Irrtümer enthält.

Man will uns hintergehen, zürnte der Achterherr Philipp Götter, und es ist dies Interim gar klüglich von den spanischen Pfaffen Malvenda und Domingo a Soto raffiniert worden, um uns allmählich das Papsttum wieder aufzudringen; denn verlangt man nicht wieder täglich zwo Messen, und Altäre, Kirchenfahnen, Kreuze und Kerzen und den Bilderdienst?

Hat sich doch des Kaisers Freund, der Kurfürst Moritz von Sachsen, schaltete der Senator Daniel Bräunich ein, ob der vielen Klagen seiner Untertanen, die durch das Interim hintergangen worden, sich gezwungen sehen, durch seine Amtleute ein öffentliches Schreiben ergehen zu lassen, worin er versichert, bei der von der Reformation aufgestellten Lehre getreulich beharren und seine Untertanen dabei schützen zu wollen.

Was bracut's viel Redens, sehr edle Herren! sprach vortretend Ulrich Reinhold, der Maurer Innung ehrbarer Meister, ein gescheiter und viel gereister Mann, -das Interim gemahnt mich wie ein wackelig Gebäude auf lockerm Sand, das aus schlecht gehauenen Steinen ohne Mörtel in aller Eile zusammengetragen worden, darin weder Katholik noch Lutheraner bequem hausen mögen, und das über kurz oder lang zusammenstürzen wird, vielleicht den unvorsichtigen Baumeister in seinem Schutte begrabend. Wir Bürger wollen also keine närrischen Strolche sein, und ein Haus ziehen, das weder stützende Balken, noch Licht hat.

Einstimmiger Beifallsruf beschloss des Meister Reinholds Rede und wärmer werdend kamen nun die Versammelten bald zu Beschlüssen.

Es hat sich, nahm hitzig der Achterherr Philipp Götter abermal das Wort, wie die Predikanten zu Kopenhagen sehr richtig gesagt, in dem Interim der satan in einen Engel des Lichts verstellt, nichts destowenigier sie es aber verabscheuen und verdammen, drum wollen wir eher alle zeitlichen Güter fahren lassen als von der Augsburgischen Konfession abweichen, und beharrlich das Interim von uns halten.

Doch die Gefahr ist vor der Türe, äußerte bedenklich Senator Wesenius, die spanischen Reiter stehn bereit, die Befehle des Granvella's zu unterstützen, deshalb müssen wir darauf bedacht sein, Zeit zu gewinnen, haben wir Aufschub, dann schicken wir schnell einige aus unserer Mitte an den Kaiser in den Niederlanden, dass diese mit unseren Supplikationen und Bitten so lange der römischen Majestät anliegen, bis sie zugestanden, uns an unsern Privilegien keinen Abbruch zu tun und unsre Freiheiten nicht zu schmälern.

Alle billigten den weisen Vorschlag des erfahrenen Senators, und alsbald wurde die Deputation erwählt, an deren Spitze von Seiten des Magistrats Herr Philipp Wesenius, der Sohn des Senators, und im Namen der Zünfte der Meister Reinhold stehen sollte.

Plötzlich wurde die Trommel gerührt, Waffengeklirr auf der Treppe hörbar, und gleich darauf trat eine Rotte spanischer Büchsenträger in den Saal unter die bestürzten Ratsherrn, und bildete sich in zwei Reihen aufstellend, einen schützenden Hag bis zum Armsessel, welcher für den Hauptmann bestimmt war, der auch gleich darauf ungestüm eintrat, und den Federhut auf dem Kopfe lassend, sich in dem Lehnstuhl niederließ, sich an die Versammlung wendend mit den Worten:

Zum andermalen seht Ihr mich in Eurer Mitte erscheinen, um Bestrafung der durch Eure Bürger an meinen Soldaten verübten Gewalttaten von Euch zu fordern; gestern schleppte man einen Verbrecher mit grauem Schädel in's Gefängnis, weil er es gewagt, an einem Kaiserlichen sich zu vergreifen, aber wen soll meine Rache treffen für den Totschlag eines Spaniers, der heute früh entseelt an der Stadtmauer gefunden worden: den Mörder lass' ich erschießen, sucht ihn, weise Herren, fuhr er die Versammlung höhnend fort, ich lasse Euch Zeit bis morgen, wo nicht, wird morgen Eure ganze Bürgerschaft auf die Folter gespannt, und Ihr könnt den Vorgeschmack haben.

Wer anders ist schuld an diesen Greueltaten, erwiderte beherzt der Achterherr Franz Rohrbein, als Eure gottlosen Trabanten, die trotz dem, dass sie an nichts Mangel leiden, die Bürger placken, keine Unschuld ehren, und des Kaisers Völker zu kaiserlichem Raubgesindel erniedrigen, - was Wunders, wenn der arme Bürgersmann, nachdem er sich ruhig hat berauben lassen, zur Notwehr greift, da es der Ehre seines Weibes gilt, und den frechen Verführer zur Hölle schickt; hätt' ich ein Weib, des Todes wäre, wer es berührte.

Durch solche nie erlebte Keckheit überrascht, schwieg Don Tellez einige Sekunden lang, indes die Ratsherrn und anwesenden Bürger mit ängstlicher Erwartung bald auf ihn, bald auf den kühnen Sprecher schauten, der mutig und seiner guten Sache bewusst, mit zurückgeworfenem Haupte dem Sitze des Hauptmanns gegenüberstand.

Plötzlich erhob sich dieser und fuhr ihn folgendermaßen an:

Was hält mich ab, dass ich Dich, unverschämten lügnerischen Gesellen nicht gleich vergraben lasse, da weder Mond noch Sonne Dich bescheint.

Das Gefühl Eures Unrechts, entgegnete ruhig der Achterherr.

Schweig, höhnischer Verleumder, fuhr noch aufgebrachter der Spanier fort, wüsst' ich nicht, dass ich strenge Mannszucht halte unter meinen Leuten.

Leider, dass jeder Bürger, der einen von Euch Spaniern beherbergt, das Gegenteil bezeugen kann, unterbrach ihn trotzig Herr Rohrbein, der seine Sache vor der Hand verloren sah.

Führt den Rebellen einstweilen in die Bastei, herrschte der wütende Hauptmann einigen Bogenschützen zu, die alsbald den Bezeichneten von seinem Platze wegrissen, und mit sich davon schleppten.

Ich werde Dich beim Kaiser verklagen, Wüterich, drohte noch der Achterherr, da er abgeführt wurde, und in der Ferne verhallten seine Ermahnungen an die Kollegen, standhaft zu bleiben gegen die Tyrannei. Versuch' es, Wahnsinniger! höhnte Don Tellez seinem Gefangenen nach, versuch' es, ob Deine kreischende Stimme bis nach Antwerpen dringen wird!

Stumm saßen die Bürger da voll Unwillen ob der eigenmächtigen Handlung und wussten nicht was beginnen; nur der edle Rüffer erhob sich, und wollte den kecken Redner wo möglich entschuldigen, und auf dessen glimpfliche Behandlung dringen.

Schweigt, Borgomaestro, befahl der Spanier, wir haben jetzt wichtigeres zu reden, nachher von jenem und Euch.

Bürger, fuhr er mit donnernder Stimme zu der Versammlung gewendet fort, Ihr seid in des Kaisers höchste Ungnade gefallen. darob dass Ihr dem ketzerischen rebellen, dem geächteten Landgraf von Hessen, da er gen Ingolstadt zog, ein Hochverräter am Reich und des römischen Kaisers Majestät, Vorschub getan zu seinem verbrecherischen Vorhaben, dass Ihr ihm Proviant zugeführt, und seinen Völkern freien Durchgang erlaubt habt durch Euer Weichbild.

Der Herr Landgraf ist unser Schutzherr, entgegnete Herr Martin Baumgärtner, des Sechserstandes Einer, und wir konnten ihm daher nicht verweigern, was er begehrte.

Gegen einen Rebellen ist jeder Untertan seines Gehorsams entbunden, schrie Don Tellez, aber Ihr seid eine Ketzerbrut, und hieltet's mit dem Hochverräter, weiter habt Ihr den Abt von Bildhausen, einen Diener der alleinseligmachenden Kirche, in Euren Mauern erschlagen, und Blut fordert die Bluttat.

Verzeiht, Herr! sprach der senator Wesenius, seine Mitbürger gegen diese Anklage verwahrend, Ihr seid gar gröblich in Irrtum geführt.

Alter Graukopf! schnaubte der Spanier ihn an, kannst Du das Maul nicht halten, schreckt Dich nicht das Beispiel jenes Vorlauten, der nun in der Bastei sein unsinniges Geschwätz bereuen mag?

Ich rede, antwortete der Greis, des Schlimmsten sich versehend, weil ich die Wahrheit sagen muss,, die Ihr verkannt habt, und die an des Kaisers Tron unglimpflich entstellt wurde.

Unwillig mit dem Fuße stampfend, kehrte Don Tellez sich ab von dem alten Schwätzer, wie er den greisen Senator nannte, der dann mit lauter Stimme und ernstem Nachdruck berichtete:

Der Abt zu Bildhausen hatte einige hessische Reiter, so bei ihm im Quartier lagen, mit vergiftetem Weine traktiert; da einer der Krieger, der zufällig alleine getrunken hatte, während die andern noch bei ihren Rossen beschäftigt waren, plötzlich tot umfiel, wurde man auf die Untat aufmerksam, und verfolgte schnell den Abt, der flüchtig geworden. Zu unsrer Stadt wurde er eingeholt und musste sich ranzionieren (Lösegeld zahlen) um etliche hundert Gulden, aber voll fanatischer Tücke hieb er nach dem Rottmeister, dem er das Geld ausgehändigt hatte, und der eben mit dem Zählen beschäftigt war, dergestalt, dass dieser gleich vom Pferde stürzte, von den erbitterten Soldaten erwischt und  fiel sogleich von dem Schlag eines Fausthammers tödlich getroffen, worauf er denn Augenblick's den Geist aufgab. Dies Herr, ist der getreue Bericht des Vorfalls, an dem wir völlig unschuldig sind. Sagt selbst, Hauptmann, wie hätten wir den Tod des Mörders hindern sollen?

Der Abt tat ein verdienstliches Werk, indem er die Ketzer von der Erde vertilgte und ist als ein Märtyrer gestorben, war des Hauptmanns Antwort, deshalb sollt Ihr seinen Tod zu sühnen ihm ein Monument erbauen in Eurer Stadt, und zwölf Seelenmessen stiften, fünf zu Rom, fünf zu Würzburg, und zwei in des Abtes Kloster zu Bildhausen, an welches Ihr, zur Strafe, dass Ihr Eure Tore nicht vor seinen verfolgern geschlossen, ohnedem noch tausend Pfund Heller zu entrichten habt binnen Jahresfrist.

Ihr wollt uns, die wir unschuldig sind, widersprach der Bürgermeister, so hart strafen, weil wir nicht das Unvermeidliche hindern konnten und weil der Erschlagene, obgleich ein Verbrecher, zugleich ein katholischer Priester war, indes der Mörder, mit ihnen der Brudermörrder des unschuldigen Johannes Diaz ungestraft aus den Gefängnissen Ferdinands, des Königs von Böhmen entlassen worden, und sich im Reiche frevlerisch ihrer Gräueltaten rühmen dürfen, weil das Opfer derselben ein Evangelischer gewesen.

Juckt mein Hauswirt der Hals, fragte finster der Spanier, habt Ihr vielleicht Lust, fuhr er zu Rüffer fort, Bekanntschaft zu machen mit dem Meister Dreibein, der von den Galgenleiten gar lustig hereinschaut durch das Obertor, und mir die Zierde Eures Weichbildes dünkt.

Mein Schicksal steht in Gottes Hand! erwiderte ergeben der Bürgermeister.

Anjetzo in der meinen! sprach bedeutend der Hauptmann; doch bleibt Euch noch ein Mittel, wandte sich dieser wieder an die Bürger, Eure Stadt mit des Kaisers Majestät zu versöhnen.

Und diese wäre? fragten einige Bürger.

Indem Ihr erstens schnell das Strafgeld von fünfhundert Goldkronen an mich, seinen Stellvertreter entrichtet, und alsbald das Interim annehmt, erwiderte mit unerbittlicher Strenge der Spanier. Ihr wollt nicht, Ihr schäbigen Hunde? forschte dieser innerlich erfreut, da er die Einen sich mit Abscheu abwenden, andere unwillig die Köpfe schütteln sah, denn solange die Bürger das Interim nicht annahmen, konnte er sie als Feinde betrachten, und behandeln nach den Begriffen der damaligen Zeit, und er sah es gern, dass hier endlich wieder sein Weizen blühe, denn er hoffte reiche Beute zu ziehen aus der Stadt und daneben sich weiblich zu ergötzen mit den Bürgersfrauen, doch musste er seine Rolle fortspielen, und schnitt deshalb, obgleich er im Busen frohlockte, ein recht grimmiges Gesicht, als die Bürger um Bedenkzeit baten. Begierig jeden Vorwand zu ergreifen, sein Regiment in der gequälten Stadt zu verlängern, ließ er sich endlich wider der Bürger Erwarten bereitwillig finden, diesen einen Aufschub bis zur Rückkkehr der Deputation zu gewähren, weil er hoffte, der Kaiser würde, in seinem bekannten Eigensinn für das Interim beharrend, das als sein Werk ihm am Herzen lag, niemals in der Schweinfurter Vorschläge eingehen.

Noch bleibt mir ein Geschäft hier abzutun, sprach aufstehend der Hauptmann, und gleich ihm erhoben sich alle die Ratsherrn aus ihren Sitzen.

So gebt Bescheid, was Ihr noch habt zu fordern, redete der Bürgermeister ihn an.

Es hat des Kaisers Majestät, fuhr der Spanier, ohne seinen hauswirt zu beachten, an die Bürger sich wendend fort, mit Unwillen und Betrübnis bemerkt, wie diese Reichsstadt unter ihrem neuen Regiment, sich widerspenstig gezeigt gegen ihren Oberherrn, den gebieter des Reichs, und es haben des Kaisers Räte deshalb beschlossen, das Wohl dieser Stadt künftighin besseren Händen anzuvertrauen und zu verhüten, dass nicht starrsinnige Rädelsführer durch böse Ratschläge die gesamte Bürgerschaft verführen möge zu Ungehorsam und Rebellion gegen das Reich, ansonsten Euch an andermal die Reichs- und Aber-Acht unfehlbar treffen würde. Dies zu verhindern, erkläre ich diese Stadt los und ledig ihres Dankes gegen den geächteten Rebellen, den Landgrafen von Hessen, und ihrer bisherigen Obrigkeit bar und gänzlich frei von allem Gehorsam gegen deren Bürgermeister und Oberhaupt des Weichbildes. Dies alles im Namen seiner Majestät des römischen Kaisers Karolus genannt, der fünfte.

Da erhoben sich bis auf zwei oder drei Ausnahmen, die sämtlichen Bürger und Innungsherren und erklärten, wie dieser Gewaltstreich eine freche Verletzung ihrer Gerechtsamen sei, und ihnen allein das Recht zustehe, ihre Obrigkeit zu wählen, dass sie aber gesonnen seien, ihren edlen Bürgermeister noch lange zu behalten zum allgemeinen Wohl.

Eure Privilegien lügen, ihr Pfahlbürger, schrie zornig Don Tellez.

Sie lügen nicht, antwortete fest der Schöppe (Schöffe) Wolfram, der aus den Archiven das kostbare Pergament herbeigeholt hatte, auf welchem die im Jahr 1330 der Stadt zugestandenen Freiheiten aufgezählt waren, und noch deutlich die Unterschrift des deutschen Kaisers Ludwig des IVten, genannt der Baier, zu lesen. Seht Herr Hauptmann, dies ist unser erstes Privilegium, hier steht es deutlich:

"und es darf weder von weltlicher noch geistlicher Macht etwas geändert werden an der Gerichtsordnung und dem Regimente der Reichsstadt, der es zusteht ihre Obrigkeit sich selbst zu kiefen -" ist das verständlich?

Was liegt an dem alten Wisch, polterte der Hauptmann, was kehrt sich der Kriegsmann an dies staubige Eselsfell mit der verbleichten Tinte, wir schreiben mit Blut auf Menschenhaut, und spotten Eurer Gerechtsame, -mit diesen Worten hatte er den Freibrief an seinen Degen gespießt, und unter seine Schützen geworfen, dass er unter ihren Fußtritten zerknittert wurde.

Heimlich knirschten die gedemütigten Reichsstädter mit den Zähnen, und schworen Rache dem tyrannischen Spanier. - Herr Rüffer aber stand da mit zornfunkelndem Blick, die rechte an dem Gefäße seines Schwertes und ließ sich nur mit Mühe durch den Senator Wesenius davon abhalten, eine allzu rasche Tat zu vollbringen, aus der neue Erbitterung entstanden, und für die Stadt wahrscheinlich Unheil erwachsen wäre.

Bei meinem Ausspruche beharre ich, ergriff nun sich zum Fortgehen bereitend der Hauptmann das Wort: die Stadtobrigkeit ist aufgelöst und ich ernenne daher im Namen Seiner Majestät des Kaisers zum Oberbürgermeister Konrad Mainberger, und gebiete allmänniglich ihm zu gehorchen als dem Oberhaupte der Stadt. Mit Nächstem werden die übrigen Ämter ebenfalls durch uns mit neuen treu ergebenen Männern besetzt werden. Indessen seid Gott und der heiligen Jungfrau befohlen, edle Gestrengen! mit diesen Worten entfernte sich Don Tellez, mit ihm der neu gebackene Bürgermeister, - die Büchsenschützen schlossen gleich den Zug, und marschierten in dichten Reihen gedrängt hinter ihm her, so wie auf sein Geheiß vornen zwanzig Mann jeden Angreifer von seiner Brust ferne hielten, überdies fand der Furchtsame für gut, einen verborgenen Harnisch zu tragen, weil er insgeheim von der Wut der durch ihn zu Löwen gereitzten Bürger das Schlimmste befürchtete.

Bestürzt standen die Ratsherren und Bürger noch eine Weile beinander, dann umringten sie wehmütig Herrn Rüffer, der indes schnell den pergamenten Freibrief aufgehoben und unter dem Mantel versteckt hatte, und bedauerten innig den Verlust, den sie an ihm erleiden sollten.

Seid getrost, meine Freunde, die Zeiten ändern schnell, und vieles mit ihnen; vielleicht sind wir in Jahr und Tag wieder beinander, wie ehemals, erwiderte der Abgesetzte und entfernte sich, den anderen herzlich die Hand zum Abschied reichend und ging dann festen Schrittes, als wär er sich keiner Anfechtung bewusst nach Hause.

Bekümmert schlichen die Übrigen nach ihren Wohnungen und legten ihren Kummer nieder in den Herzen ihrer treuen Hausfrauen.

 

 

Ende des ersten Bandes



Zweiter Band:

 

7.

Im Zwinger herrschte am Morgen des auf jene gewalttätigen Auftritte auf'm Rathaus folgenden Sonntags ein gar reges und fröhliches Treiben; es wimmelte der Schützenkönig zumal von zierlich geputzten Leuten , und es erklangen trotz des Unfriedens in der Stadt, schon frühzeitig in der Schenke mutwillige Lieder und ausgelassene Scherze, und alle schienen, die da versammelt waren, sich dasWort gegeben zu haben, heute nur fröhliche Gesichter zu Markte zu tragen. Nur einer saß in der Eckemit traurigem Antlitz und blickte stumm vor sich nieder.

Potz, Löffel und Bratspieß, rief der dicke Herberger, auf seinen stillen Gast zusteuernd aus, Gevatter Tuchscherer, was sitzt er da mit dem Leichenbittergesicht und glotzt mir die Dielen an, als lönnt er nich drei zählen? Auf Gevatter, lasst uns heut munter sein, und die Sorgen in den Wind schlagen, da, nehmt Er den Becher Wein - s' ist alter, steinalter Randesacker, der macht den Kopf warm und das Herz fröhlich.

Der Angeredete trank ein kräftigen Zug von dem kräftigen Rebensaft und antwortete dann dem Wirte:

Er hat gut reden, Gevatter, Ihm steht das Messer nicht an der Kehle wie unser einem, dem vielleicht Brotneider den toten Spanier vor das Haus gelegt. Seit der wüste Geselle dort oben mir gegenüber an der alten Mauer erschlagen gefunden worden, umschleichen die Büchsenschützen tagtäglich mein Haus, dass ich jeden Augenblick fürchten muss, sie werden mich einmal herausholen und auf die Folter spannen wie den alten Puttenberg, der am Morgen freigelassen und am Abend wieder eingekerkert worden und dessen gottesvergessene Tochter es nun mit dem wilden Rottmeister halten soll, wie die Karmeliterin behauptet.

Die alte Metze, zürnte der ehrliche Herberger, ist ihr Lebtage immer eine Plaudertasche gewesen und schwätzt viel tolles Zeug in den Tag hinein, da hat sie vielleicht einen Hacken auf das arme Ding, die Brigitte, die doch bisher ein unbescholtenes Mädchen gewesen, und immer guter Dinge, just wie meine Mile, und nun will sie ihr einen bösen Leumund aufhängen; der alten Hexe ist nicht gut nacherzählen, Gevatter. Nu, nicht für ungut, s' war nicht bös gemeint, alter Geselle! - Na! trink er nur, ich hab noch ein paar Mutterfässchen im Keller für alte gute Freunde, wie Er, und bin's nicht willens, am Hochzeittag meiner Tochter den Wein zu sparen, und wär er teurer noch als der Ungarwein!

Potz, Löffel und Bratspieß! wenn Er wüsste, Gevatter, wie mir so wohl zu Mute ist, dass ich gerade jetzt mein Mädel unter die Haube bringe, da die vermaledeiten Spanier bei uns hocken, die auf die Evastöchter ganz unsinnig versessen sind, so dass, glaube ich, der Teufel sogar, und hätt' er zwanzig Schock Augen im Kopfe, seine Großmutter nicht genug vor ihnen hüten könnte, wenn sie einmal Quartierzettel in die Hölle bekämen, nur weil sie ein Weibsbild ist. Meiner mIle haben die Lotterbuben auch schon warm gemacht, aber das Wettermädel, setzte schmunzelnd der Alte hinzu, ist stark und kreuzbrav, und hat dem einen, der ihm 'nen Kuss aufdringen wollte, blaue Fenster geschlagen, dass er es nun wohl einmal für vierundzwanzig Stunden in Ruhe lassen wird, aber in die Länge hält's doch nicht, wenn der Tropf, der Spanier, wieder aus den Augen sehen kann, fürcht' ich, geht der Tanz wieder los, und da sagt ich zu mir selbst: die Mile muss Dir aus dem Hause, und da ging ich zu meinem Schwiegersohn, dem Verwalter im Ebracher Hof, und schüttete ihm mein Herz aus, wie es meine Meinung wär' dass er jetzt seine Braut heimführe, weil er sie besser hüten könne, wär' sie einmal sein Gespons, als ich alter Mann, der überdies noch alle Hände voll zu tun habe mit der Schenkwirtschaft, s' sind ohnedies seit dem Handstreich am Sonntag Allerheiligen vier Wochen vorüber, und die Brautleute schon zwei Mal von der Kanzel geworfen worden, und so haben wir es abgeredet, dass sie heute zum dritten und letzten Mal aufgeboten werden, und dann sollen sie sich in Gottes Namen gelich nach der Frühkirche zusammenkuppeln lassen. Sieht Er, Gevatter, da fällt mir ein gewaltiger Stein vom Herzen, jetzt kann ich wieder ruhig leben, und wenn mir auch die Spanier hin und wieder viel Schaden tun an Gut und Vermögen, so können sie mir doch keine Schande in's Haus bringen, und der Eberhard wird sich schon mit seiner jungen Ehewirtin im Ebracher Hof verschanzen, dass ihr in den Flitterwochen zum mindesten keiner von dem fremden Gesindel zu nahe kommt. - Er ist, weiß Gott, glücklich in der jetzigen Zeit, Gevatter, dass er noch ein Junggeselle ist!

Ich will und werd' es auch bleiben, beteuerte der Tuchscherer, und nicht der Narr sein, mir ein Hauskreuz aufzuladen in meinen alten Tagen, wie mein Nachbar der Holbig, den nun die Eifersucht nicht aus dem Hause lässt, und den doch die ganze Stadt den Hahnrei nennt. Es möge wohl einer eher den Marien- und den Höllenbach benebst dem Mainfluss mit einem Sieb ausschöpfen, als ein treuloses Weib bewachen.

Instament! stimmte ein Zuhörer ein, und hätte einer hundert Augen wie der Riese, von dem uns letzthin der Lateiner erzählt.

Post nubila phoebus! erscholl eben des Schulmeisters Stimme von außen.

Ah, da ist ja der Lateiner, der Ludi-Magister, riefen die Gäste, und einen Augenblick später trat der Genannte, dem man seiner wunderlichen Redensarten halber jene Übernamen beigelegt hatte, mit teifem Bückling herein.

Ein weites, dunkelfarbiges Wams hüllte die schulmeisterliche Gestalt in seinen Falten ein und an den Beinen des armen Pädagogen schlotterten die kurzen, weiten Schweizerhosen von schwarzem, oft gebürsteten Samt, wie ein lockeres Segel im Winde. In der Hand sein abgeschossenes Samtbarrett herumdrehend und zerknitternd, stammelte er dem Schenkwirte eine tüchtig mit lateinischen Sprüchen gespickte, auf dem Weg erst einstudierte Danksagung her für die gütige Einladung , dann wendete er sich an die Versammlung mit der gravitätischen Anrede: bona dies! werte Herren und Mitbürger!

Heda! Lateiner! erzählt uns doch die Geschichte von dem hundertäugigen Riesen im Mohrenland! rief eine Stimme.

Im Türkenlande denn, verbesserte der Schulmann, räusperte sich und setzte sich in Positur dem Willen der Gesellschaft Genüge zu leisten.

Na! Trinkt Er erst, Schulmeister! sprach ihm die Kanne darreichend der Herberger. Gern erfüllte der Ludi-Magister auch diesen Befehl, und begann dann, seine Krause zurechtzupfend, folgendermaßen:

In den heidnischen Büchern hab' ich gelesen, dass in einem Lande weit von hier, man glaubt in der Türkei sei's gewesen, wo der Sultan heute wohnt mit seinen tausend Kebsweibern, vor Olimszeiten der oberste Herrgott, so Herr Jupiter fulminand geheißen, und dabei noch so viel Titel hatte, als seine römisch kaiserliche Majestät, denn Ihr müsst wissen, dass sie dort fast mehr Götter hatten als unsre Reichsstadt Ratsherren, mit seinem Geschwisterkind sich verheiratete. Bemeldete Person soll aber auch so eine Prinzessin Eifersucht gewesen sein, ganz gelb von Angesicht und dabei stolz wie unsre wie unsre neugebackne Bürgermeisterin von Ehegestern (gleich darauf schlug sich der Ludi-Magister auf's Maul), dass ich's kurz mache, kaum waren die Flitterwochen vorbei, ging an einem schönen Herbstmorgen der türkische Herrgott spazieren in seinem Weinberg, und erblickte da, trotz dem dichten Nebel, in des Königs, seines Nachbars Rebland, eine hübsche Winzerin, mit welcher der alte Herr Späßchen trieb, und gerade, als er ihr ein bisschen in die Backen kneifen wollte, stand wild wie eine Furie, seine safrangelbe Ehehälfte hinter ihm, sprach von Ehescheidung, Spinnhaus usw.; packte das arme Ding beim Fittig und schleppte es mit sich fort, aus den Augen des verblüfften Eheherrn. Sie sperrte die Dirne in ein Kämmerlein mit ihrem Heiduck, der hundert Augen gehabt haben soll, wovon immer nur die Hälfte schlief. Während nun die Frau Juno dem ertappten Ehemann eine Gardinenpredigt hielt, die sich gewaschen, kam ein junger Geselle geschlichen, und erzählte dem Wächter der Dirne allerlei Schnickschnack, spielte auch manch Schelmenlied auf der Schalmei bis zuletzt dem armen Heiduck seine hundert Augen alle zuplumpsten, und da er erwachte, war der Geselle fort und sein Vöglein ausgeflogen, wo es denn von der Hausfrau tüchtige Klapfen gesetzt haben mag.

He! Ludi-Magister! rief ein Witzbold; ob wohl die Frau Juno auch den Pantoffel genommen hat, wie Seine Ehewirtin?

Ei was! stotterte der Gefoppte, was ich von den Klapfen gesagt, ist nur bildlich zu verstehen.

Ja, nur schade für Seinen Buckel, Nachbar, spöttelte ein Anderer, dass es die Frau Schulmeisterin nicht auch bildlich versteht.

Ehe der arme, geplagte Ehemann etwas erwidern konnte, ging die Türe der Schenkstube auf und hereintrat der neue Schwiegersohn des Wirts, die Gesellschaft zum Aufbruch ermahnend, weil es Zeit sei, zur Kirche zu gehen, da schon das Vaterunser geläutet habe, und die geputzte Braut bereits ihrer harre. Schnell drängten sich nun die Gäste nach dem Ausgang, und einige Augenblicke später war bereits der Zug gebildet, und verließ den Schützenkönig, quer durch den Zwinger zum Brückentor hinein in die Stadt sich ausdehnend. Als nun die lange Reihe der Hochzeitsgäste mit dem Brautpaar an der Spitze über den Markt schritt und der Anhöhe der Kirche zu St. Johann sich nahte, erklang vom Turm herab ein frommes Lied, von kräftigen Männerstimmen gesungen, und dazwischen ließen der Stadtpfeifer und seine Gesellen die Zinken und Posaunen gar vergnüglich erschallen; und als nun der Zug bei der Schwelle des Tempels angelangt war, und die breiten Türflügel geöffnet wurden, ertönte von innen Orgelsang, und es erhob sich die ganze christliche Gemeinde und stimmte im Chor eine liebliche, fromme Weise an, so Herr Doktor Luther selbst gefertigt.

 

 

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