Der Jungfernkuss

In der Stadt Schweinfurt hatten die Kloster­herrn von Bildhausen

ein Haus, was gewöhnlich der Bildhäuser Hof genannt wurde.

Von diesem soll ein unterirdischer Gang quer durch die Stadt bis

zum Spital, welches ein Jungfrauen-Kloster gewesen sein soll,
geführt haben, und von da wieder bis zum Carmeliter­

Kloster; man will heute noch im Bildhäuser Hof (welcher
später das königliche Landgericht wurde) im Pferdestall dumpfe
hohle Töne vernehmen, wenn die Pferde unruhig sind,
die auf hohle unterirdische Räume schließen lassen. 
Nicht weit von dem Carmeliter- Kloster (altem Waisen­
haus) steht auf der Bastei der kleine Ueberrest eines
alten runden Turmes, welcher noch heute der Jung-
fernkuss heißt. In den grausamen und barbarischen
Zeiten des Mittelalters stand, so geht die Sage, in
diesem Turm eine eiserne Jungfrau, die in jeder ihrer
Hände ein scharfes Schwert hielt. Dort wurde von
den Carmelitern ein schauderhaft geheimnisvolles

Straf­recht ausgeübt. Wenn ein Mönch sich vergangen, oder
sonst ein Verbrecher freiwillig oder durch die Marter
zum Geständnis seiner Untat gebracht war, und diese
todeswürdig befunden wurde, so führte man ihn auf
unterirdischem Wege in den Turm, und gebot ihm,
das eiserne Jungfrauenbild zu küssen. So wie er aber
auf die Stufe trat, dem Bilde zu nahen, so schlugen die
zwei Schwerter zusammen und schlugen den Kopf des
Verbrechers ab, welcher samt dem Körper in einen
Wasserbehälter fiel, der unter dem Turme war. Sah
man nun manchmal das Wasser dieses Teiches gerötet,
so sprach man schaudernd: die Jungfrau hat gearbeitet,
und betete für die Seele des Gerichteten.

Der "Jungfernkuss" heute (2013)
Der "Jungfernkuss" heute (2013)