Oberndorf im "Dritten Reich"

ein Artikel von Ludwig Wiener, einst Chefredakteur des "Schweinfurter Tagblatts"

 

Die Machtergreifung Adolf Hitlers am 30 Januar 1933 wirkte sich für die 4037 Oberndorfer nicht sofort aus. Noch versammelten sich am 6. Februar Sozialdemokraten und freie Gewerkschafter vor der Gaststätte "Frühlingsgarten" (Ernst-Sachs-Str.) unter ihren roten Bannern mit den drei weißen Pfeilen. Sie zogen bei einem  Sternmarsch der Eisernen Front zum Brettermarkt (Am Zeughaus) und demonstrierten gegen einen Innenstadtmarsch der Nationalsozialisten am Vormittag. Bei diesen trabten 14 Reiter den Hakenkreuzfahnen voraus.

Eine Woche später war das Kriegerdenkmal Schauplatz einer Kundgebung der NSDAP die "ohne Zwischenfall verlaufen ist", wie der Polizeibericht eigens meldet. So bereiteten die Parteien die Reichstagswahl vom 5. März propagandistisch vor.

Zum ersten Mal erhielten die Nationalsozialisten, wie in der ganzen Stadt, den größten Stimmenanteil (37,5 %). Wenige Tage später begannen die ersten Verhaftungen von Sozialdemokraten, unter ihnen Oberbürgermeister Dr. Benno Merkle  und Mitglied des Reichstags Fritz Soldmann. Erst am Sonntag, den 12. März, wurde gegen 9 Uhr am Oberndorfer Rathaus, wie tags zuvor in der Stadt, die Hakenkreuzfahne gehisst. Reichsbannerführer Bergdolt (SPD) legte sein Stadtratsmandat nieder. Am Fackelzug der NSDAP zu Hitlers Geburtstag, 20. April, beteiligten sich bereits Krieger-, Turn-, Sport- und andere Vereine. Vor dem rathaus und am Hauptbahnhof hielt Ortsgruppenleiter W. Weidling. der spätere Kreisleiter, Ansprachen. Den musikalischen Teil bestritt der Gesangsverein.

Der ehemalige SPD-Stadtrat und Konsum-Filialleiter Weitz wird "in Schutzhaft" genommen, und dasselbe widerfährt Stadtrat Seufert (BVP) und seinen Fraktionskollegen am 26. Juni 1933. Als am 1. Juli 24 Sozialdemokraten der Stadt ins Konzentrationslager Dachau verschwinden, endete die Zeitungsmeldung: "Die ausgedehnte Liste dürfte allen denen, die den Mund nicht halten können, eine dringende Warnung sein." Der Widerstand war noch rege. Die Turner fuhren zum deutschen Turnfest nach Stuttgart und kehrten stolz mit Alfred Kirchner als Turnfestsieger zurück. Beim Entedankfest waren die Vereine bereits "gleichgeschaltet", also das Führerprinzip eingeführt.

13000 Arbeitssuchende zählte das Arbeitsamt Schweinfurt zum Jahresanfang 1933. 40 Prozent der Mitglieder des Kleingartenvereins Oberndorf waren arbeitslos. Im Herbst sollten Erwerbslose "auf dem Wege des Arbeitsdienstes die Wiesengasse, Fennstraße und die Straße am Rainlein ausbauen. Bei der Flurbereinigung erfolgte im Oktober die vorläufige Besitzeinweisung. Der Arbeitsdienst verlegte und begradigte die Wern. Mit dem Abklingen der Wirtschaftskrise blühte Hoffnung auf. Wohnhäuser wurden am Westrand gebaut, am Nutzweg zogen ehemalige Barackenbewohner in neue Siedlungshäuser, am Hauptbahnhof entstanden Kirrdorf-, Stephan- und Bayernstraße und die alten Fluren Osterlänge und Siechgrund gaben an der Ostgrenze neuen Wohnstraßen ihren Namen: Die Aufgliederung Oberndorfs in drei Stadtteile bahnte sich an.

Die Auflösung des Standesamtes am 1. März 1936 kennzeichnet die restlose Eingemeindung des frühreren Dorfes. Da war es wenig Trost für die alteingesessenen Landwirte, dass sie den Titel "Erbhofbauer" erhalten hatten, wenngleich damit die Zersplitterung der Bauernhöfe Einhalt geboten war. Trotz Frieden, waren sie zur "Ernährungsschlacht" aufgerufen. Kinder und Jugendliche trafen sich zum "Dienst" im neuerbauten Hitlerjugendheim (später evangelischer Kindergarten). Die Zimmerstutzengesellschaft verlor ein Viertel ihrer Mitglieder, nachdem das Schießen zum Wehrsport erklärt worden war.

Kugelfischer erweiterte sein Betriebsgelände und beeindruckte mit seinem modernen Hochbau ebenso wie VKF mit dem "Kugelhochbau" an der Ernst-Sachs-Straße. F&S stellte 1937 mit der "Saxonette", einem motorisierten Fahrrad, eine Voirläuferin des Mofas vor.

Ein schmerzlicher Tag für die älteren Oberndorfer war der 13. Februar 1938. Pfarrer Hans Pfister, der sich unermüdlich für einen Kirchenneubau eingesetzt hatte, predigte zum letzten Mal in der alten Jesus-Christus-Kirche. Sie wurde eingelegt. Nur der mittelalterliche Turm blieb stehen. Die Einweihung der doppelt so großen neuen Kirche verzögerte der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Am 25. Februar 1940 weihte Landesbischof Meiser das Gotteshaus für die dankbare Gemeinde auf den Namen "Kreuzkirche". Daneben, auf dem Friedhof, lag schon das erste KZ-Opfer und im Frühjahr nahm die Erde die Urnen von vier Euthansieopfern aus Heil- und Pflegeanstalten auf.

Viele Arbeiter und Bauern mussten seit dem 1. September den grauen Rock der Soldaten tragen. Frauen traten an ihre Arbeitsplätze. Aber die Kriegsproduktion musste unbedingt gesteigert werden, so marschierten ab Sommer 1940 französische und belgische Kriegsgefangene vom Stadtpark zu den Fabriken. Zu ihnen mussten sich 1942 Tausende polnischer und russischer Männer und Frauen als "Dienstverpflichtete" gesellen, die in Barackenlager an der oberen Weide kaserniert waren. Die Belegschaftszahlen der drei Großbetriebe lassen Entwicklung und Bedeutung dieser Produktionsstättem für die fortschreitende Motorisierung, Rüstung und Kriegswirtschaft erkennen:

                            1932/33                     1938/39               1944/45

Kugelfischer           2.800                         8.000                  11.700        

VKF (SKF)             2.000                         6.000                    8.000

F & S                     2.300                         6.700                    7.100

 

Luftangriffe der Alliierten blieben unausweichlich. Der doppelte Luftabwehrring verhinderte sie nicht. Bei der 8,8cm Flakjbatterie auf der westlichen Oberndorfer Flur standen auch 16-jährige Oberndorfer Luftwaffenhelfer. Auf dem Industriegelände ragten die Rohre der 10,5 cm Eisenbahnflak in den Himmel. Die meisten Oberndorfer wurden ausgebombt und zogen in nahe oder ferne Dörfer. Der Angriff am 10 Oktober 1943 zertrümmerte die St. Joseph-Kirche und die Schule brannte weitgehend aus. Die Schulkinder über 10 Jahre und ihre Lehrer brachte man mit der KLV (Kinderlandverschickung) ab Dezember in abgelegenen Orten in Sicherheit, so in Morlesau (Lehrer Endres), Heigenbrücken (Kern, Radina), Neubrunn (Lehrerin Korzendorfer) und Huckelheim (Hoepstein). Aber auch Arbeiter wurden mit ihrer Betriebsabteilung "verlagert", etwa der Maschinenbau von F & S nach Gaustadt bei Bamberg. Der Hauptbahnhof wurde zur Ruine. Der Pfarrhof füllte sich nach Angriffen mit Vieh, das aus den brennenden Ställen gerettet wurde und die Kirche benutzte man kurzzeitig als Möbellager der Ausgebombten.

Als im April 1945 die Front sich der Stadt näherte, musste die übriggebliebene Bevölkerung in die 1942 gebauten Bunker an der Ernst-Sachs-Straße, am Hauptbahnhof und am Bergl. Die Wohnungen durften nicht verschlossen sein, um einen Straßenkampf zu ermöglichen. Volkssturmmänner erbauten an der Westgrenze Feldbefestigungen, die von Wehrmachtstruppen besetzt wurden. Doch sie konnten die von Artillerie und Flugzeugen unterstützte 42. US-Infanteriedivision nicht lange aufhalten. Am 11. April besetzten die GIs vom Westen her den zerstörten Ort. Pfarrer Pfister und Pfarrverweser Schultes beerdigten 23 deutsche Soldaten und drei Oberndorfer, die bei den Kämpfen gefallen waren. Die Oberndorfer verließen die Luftschutzbunker, der Krieg war für sie zu Ende. Die Großbetriebe waren zu 80 Prozent zerbombt, desgleichen die Ultramarinfabrik, Fränkische Essigfabrik und die beiden Malzfabriken, der Bahnhof zerstört, der Stadtteil ein Trümmerhaufen. Schmerz und Trauer in vielen Häusern: 140 Männer und zwei Frauen waren gefallen, 61 Personen vermisst und 30 Männer, 49 Frauen, 14 Buben und 15 Mädchen bei Bombenangriffen ums Leben gekommen. Die Zukunft schien hoffnungslos.