Erinnerungen an die Judenverfolgung

Wilhelm Bechert
Wilhelm Bechert

1. Ein Bericht von Frau Ilse Rankl

 

Wir, Familie Otto und Rosl Feyh, geborene Bechert, samt 3 Kindern, bewohnten den 1. Stock im Hause Adolf-Hitler-Straße 21. Über uns im 2. Stock lebten zwei jüdische Brüder, die Herren Friedmann, mit einer Haushälterin  ( lang und dünn wie eine Bohnenstange). Sie betrieben das Schuhgeschäft Friedmann im Hinterhaus der Firma Bechert. Man gelangte zu ihm durch den Hof der Firma Bechert und dann noch eine Stiege hinauf.
Jedes Jahr zu Weihnachten bekam jedes Mitglied unserer Familie ( Eltern und 3 Kinder) ein Paar "Dappn"von  Friedmanns geschenkt. Das waren höher geschnittene  warme Hausschuhe aus hellbraunem gemusterten Stoff mit Metallverriegelung. Friedmanns waren äußerst ruhige Hausgenossen. Ich erinnere mich nicht, dass es irgenwann einmal einen Streit oder eine Auseinandersetzung mit ihnen gegeben hätte.
Am 9. November 1938 musste ich wegen Masern das Bett hüten. Die Fenster meines Krankenzimmers öffneten sich auf den Hof hinaus. Irgendwann hörte ich Lärm von der Adolf-Hitler-Straße her und schlich mich zu einem Fenster, das  Sicht auf diese Straße bot. Auf der  Straße standen Leute herum und aus den Fenstern eines schräg gegenüberliegenden Hauses wurden aus dem 1. oder 2. Stock (?) Gegenstände auf die Straße geworfen. Schließlich wurde ich, ziemlich verwirrt von dem Gesehenen, von meiner Tante entdeckt und wieder ins Bett zurückgescheucht.
Aber dann geschah das fast Unglaubliche:
Natürlich wollten Männer der SA auch zu unseren beiden jüdischen Mitbewohnern in deren  Wohnung und Geschäft eindringen. Aber da hatten sie nicht mit meinem Großvater Wilhelm Bechert gerechnet. Er stellte sich unter die Türe, die zum Stiegenhaus  unseres Hauses , der gleich  neben dem Eingang zum Schuhgeschäft lag, führte und verkündete, dass er Übergriffe in seinem Hause nicht dulde. Nach einer längeren Diskussion verließen die SA-Männer dann tatsächlich unseren Grund ohne irgend einen Schaden angerichtet zu haben. Das war ein überaus tapferes Eingreifen meines Großvaters, denn er wurde als liberaler Demokrat 1933 aus dem Stadtrat hinausgeworfen und gehörte weder der Partei noch einer ihrer Organisationen  an. Auch in der Geschäftführung der Firma Bechert gab es keinen Angehörigen der Partei.
Irgendwann in den nächsten Jahren verschwanden dann die Brüder Friedmann. Es hieß, sie seien nach Theresienstadt gekommen. Wir haben nie mehr etwas von ihnen gehört. Das Schuhgeschäft übernahm das Ehepaar Schrepfer und führte es weiter.

Anmerkung:

Der Eigentumsübergang Friedmann / Wilhelm Bechert war ca. 13. Juni 1931
Abschrift aus dem Staatsarchiv Würzburg, Kauf durch Friedmann:
Gekauft von der Witwe Dorothea Eberlein, Urkunde Not. Albert v. 5. 3. 1894.
Pl. Nr. 250, Wohnhaus mit Geschäfts- u. Lagerräumen, bewohnbarer Seitenbau, mehrere Gänge, Schupfe (=Holzlege), Halle, Lagerhaus und Hofraum Hs. Nr. 21 in der Spitalstr. und Haus Nr. 3, 5 und 7 in der Rosengasse
1907 Neubau Lagerhaus und Einbau eines Geschäftszimmers in die frühere Einfahrt.

Adressbuch 1932
Adressbuch 1932
Aus dem Adressbuch 1936 - Adolf-Hitler-Straße = Spitalstraße
Aus dem Adressbuch 1936 - Adolf-Hitler-Straße = Spitalstraße

Dankeschön an Frau Elisabeth Böhrer für folgende Hintergrundinformationen:


Josef Friedmann, Butterhändler, geb. 15. März 1838 zu Bauerbach (lt. Meldekarte),  Zuzug im Jahre 1868 mit Familie nach SW, dann am 9. 7. 1894 in die Spitalstr. 21 gezogen, die dann zur Adolf-Hilter-Str. 21 wurde. Josef starb am 6. Nov. 1891 und liegt auf dem jüd. Friedhof in SW.  Seine Frau war Johanna Friedmann, eine geborene Wormser aus Oberlauringen (*6.6. 1838).  Es waren 5 Kinder, 3 sind auf der Meldekarte eingetragen, eine Tochter heiratete nach Nürnberg.
 
Das waren dann die "Brüder Friedmann", Michael und Phlipp.  Philipp, geb. 6.6.1875 Schweinfurt, starb am 12.9.1936 in Schweinfurt (Quelle: Standesamt) und liegt hier auf dem jüd. Friedhof. Sein Bruder Michael *15.02.1868 Gochsheim (nicht Schweinfurt wie auf der Meldekarte vermerkt) verzog am 31.12.1938 nach Berlin-Wilmersdorf und beging am 1. 1. 1942 dort Suizid (Auskunft Bundesarchiv).
 

Die Gräber auf dem Hauptfriedhof in Schweinfurt:
Friedmann Josef u. Johanna = Abtl. 10, Reihe 9, Grab 1
Friedmann Simon (ein Sohn *22.08.1870 Gochsheim), gest.30.9.1924 = wie vorher, Grab 2
Friedmann Philipp, wie vorher Grab 3
Die Gräber sind von außen sehr gut einsehbar, man muss nicht mal in den jüd. Teil gehen (rechts am Silberstein-Grab vorbei und dann sind sie bald zu sehen).
 
Simon Friedmanns Witwe heiratete den bekannten und beliebten Arzt Dr. Mandelbaum. 

 

2. Ein Bericht von Klaus Hegeling

 

 

Ein Schicksal aus der Siebenbrückleinsgasse:

In der Hausnummer 8 wohnte die jüdische Familie Rosenau und betrieb dort eine Großhandlung für Sattlerwaren und Sattlerleder.

Klaus Hegeling, Sohn des Malermeisters August Hegeling, wohnhaft in der Siebenbrückleinsgasse 4, hatte als Kind oft Kontakt zur Familie Rosenau in der Nachbarschaft(Hausnummer 8). Oft ließ die Familie Rosenau, die ein Sattlereigeschäft betrieb, Malerarbeiten von der Firma Hegeling erledigen. Klaus Hegeling wurde dann meist mit der Rechnung zur Familie Rosenau geschickt, die er in sehr guter Erinnerung hatte. Stets bekam er ein großzügiges Trinkgeld und meist auch Schokolade.

Er erlebte mit Entsetzen das Judenpogrom vom 9./10. November 1938 als Schüler, als er am 10. November 1938 gegen Mittag gerade von der Schule in der Schultesstraße zurückkehrte und mit ansehen musste, wie eine grölende Menge vor dem Haus der Familie Rosenau stand und zusah, wie deren Hausrat aus dem Fenster geworfen wurde. Ein Mann in SA-Uniform schwenkte im offenen Fenster zur Belustigung der Menge ein Damenkorsett, das schließlich unter lauten Gelächter in die Menge geworfen wurde. Er musste miterleben, wie die Familie Rosenau in die Hadergasse verbracht und von dort weiter verschleppt wurde. Er hat sie nicht wiedergesehen.

 

Auszug aus dem Adressbuch 1938
Auszug aus dem Adressbuch 1938

3. Frau Helma Reh, geb. Walther berichtete im Jahr 2023 aus ihrer Erinnerung folgendes:

 

Sie begab sich am Vormittag des 10. November 1938 (damals neun Jahre alt) in die Straße Am Graben, wo unter der Hausnummer 26 die jüdische Familie Mars ihre Weinhandlung hatte. Dort gab es einen größeren Auflauf an Menschen, die allerdings relativ still und entsetzt dem Wüten des in SS-Uniform agierenden Nachbarn der Familie Mars zusah. Der Herr in SS-Uniform verwüstete mit einem Beil das gesamte Inventar der Wohnung der Familie Mars. Bettzeug und vieles mehr flog aus dem Fenster auf die Straße. Genau kann sie sich erinnern, dass der Mann in SS-Uniform das Klavier in der Wohnung zertrümmerte. Die ca. 18-20 jährige Tochter der Familie Mars beschwor den Täter auf Knien, er könne sich alles nehmen, solle sie und ihre Eltern jedoch am Leben lassen.

Ihre Eltern wurden jedoch fortgebracht. Einige Tage oder Wochen später war auch sie verschwunden.

Die Eltern von Frau Reh fanden sie dort entsetzt vor dem Haus der Familie Mars und nahmen sie mit nach Hause. Sie wurde sehr geschimpft. Man redete öffentlich nicht über die Vorgänge, denn dies war nicht ungefährlich. Ihr Vater Otto Walther verurteilte zuhause dieses Vorgehen. Die Familie Mars war Kundschaft der Schlosserei Walther und sehr beliebt. Sie durfte jedoch mit niemanden außer Haus darüber reden. Tagelang weinte sie wegen dieses Ereignisses. Die Tochter des Vandalen in SS-Uniform war ihre Klassenkameradin. Da sie (vielleicht ungerechterweise, wie sie heute meint) diese für den Vorfall mit verantwortlich machte, brach sie den Kontakt zu ihr völlig ab.

 

Berichtet März 2023

 

 

Peter Hofmann

 

 

Adressbuch 1936
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Adressbuch 1938
Adressbuch 1938